schule für dichtung
schule für dichtung

henri chopin (18. juni 1922 - 3. jänner 2008)

audios, texte, fotos, typewriterpoems und videos
des grossen pioniers der audiokunst                


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the body is a soundfactory (henri chopin)

die dichtung steht - im ursprünglichen schwung,
der sie zur existenz drängt - vor der sprache.
verstehen wir uns richtig: in den aufeinanderfolgenden
phasen, die diesem schwung rhythmus verleihen, begegnet
die dichtung der sprache, doch sie quert diese lediglich,
manchmal wechselt sie hinüber auf die andere seite,
oder aber sie vermählt sich mit der sprache,
verwandelt sie und wird durch sie verwandelt.
es bleibt jedoch trotz dieser verschiedenen ausgänge
paradoxerweise bestehen, daß es keine ausschließliche oder
absolut notwendige verbindung zwischen dichtung und sprache gibt.
(henri chopin)



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biografie

henri chopin

geboren 1922 in paris, schlüsselfigur, wegweisender pionier und förderer der internationalen visuellen und akustischen poesie/konkreten poesie/lautpoesie/soundpoetry. erfinder der "poésie sonore". autor von klangwerken, bildwerken, skulpturen, theaterstücken, experimentellen filmen. schließt mikrophone am mund und innerhalb des körpers an. setzt den menschlichen körper als ein tönendes instrument ein und konzentriert sich in seinen kompositionen auf den mikrokosmos der durch den kehlkopf erzeugten laute, isoliert mit dem mikrofon zuvor nicht wahrgenommene klänge und verarbeitet sie seit jahrzehnten in zahlreichen elektroakustischen werken.

1955 erste versuche mit dem tonband. wird - gemeinsam mit francois dufrêne und bernhard heidsieck zum begründer der poésie sonore, später zu ihrem hauptsächlichen theoretiker und propagandisten (der begriff "poésie sonore" geht auf chopin zurück). 1956 briefkontakt mit andré breton. "rouge", sein erstes tonbandpoem. 1957 elektroakustische manipulationen, 1964 gründung von "ou", der ersten und viele jahre einzigen schallplatten-edition für audiopoesie. 1967 "open letter to aphonic musicians". 1968 teilnahme am pariser mai. seine frau verliert die französische staatsbürgerschaft. übersiedlung nach london. 1969 erste visuelle gedichte. 1985 rückübersiedlung nach paris. 1992 und 1993 lehrer an der schule für dichtung in wien. seine typewriter-poems, skulpturen, collagen und siebdrucke wurden in über 200 ausstellungen in zahlreichen ländern gezeigt.
vestorben am 3. jänner 2008 in dereham, grossbritannien, wo er in den letzten jahre gelebt hat.

publikationen (auswahl): regard total (buch, 1957). cantata for two farts and juan carlos 1 (tape, 1975). les chuitantes respirant (tape, 1979). poésie sonore internationale (buch, 1979). throat power (tape, 1974). vertigo du vertige (tape, 1973). fresco for the inpalpable voice (audiovideo, 1993). urwalzonate (audiovideo 1993, gemeinsam mit den studenten und studentinnen seiner klasse), le corpsbis (1997), les mirifiques tundras & compagnie (1998), j'ose! -defier- (buch, 2000), réalité sonore (buch 2001), la marche de la mort, avant pendant après (buch 2002), LA PEUR and CO (1958-1979) (CD 2002), la poésie échappée (buch, VOIXeditions 2004)

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texte von henri chopin


by henri chopin: france

It is impossible, one cannot continue with the all powerful Word, the Word that reigns over all. One cannot continue to admit it to every house, and listen to it everywhere describe us and describe events, tell us how to vote, and whom we should obey.

I, personally, would prefer the chaos and disorder which each of us would strive to master, in terms of his own ingenuousness, to the order imposed by the Word which everybody uses indiscriminately, always for the benefit of a capitol, of a church, of a socialism, etc...
No one has ever tried to establish chaos as a system, or to let it come. Perhaps there would be more dead among the weak constitutions, but certainly there could be fewer than there are in that order which defends the Word, from the-socialisms to the capitalisms. Undoubtedly there would be more alive beings and fewer dead beings, such as employees, bureaucrats, business and government executives, who are all dead and who forget the essential thing: to be alive.

The Word has created profit, it has justified work, it has made obligatory the confusion of occupation (to be doing something), it has permitted life to lie. The Word has become incarnate in the Vatican, on the rostrums of Peking, at the Elysee, and even if, often, it creates the inaccurate SIGNIFICATION, which signifies differently for each of us unless one accepts and obeys, if, often, it imposes multiple points of view which never adhere to the life of a single person and which one accepts by default, in what way can it be useful to us? I answer: in no way.

Because it is not useful that anyone should understand me, it is not useful that anyone should be able to order me to do this or that thing. It is not useful to have a cult that all can understand and that is there for all, it is not necessary that I should know myself to be imposed upon in my life by an all-powerful Word which was created for past epochs that will never entire body breathes and that it is a wholeness, without the vanity of a Word that can reduce us.

I prefer the sun, I'm fond of the night, I'm fond of my noises and of my sounds, I admire the immense complex factory of a body, I'm fond of my glances that touch, of my ears that see, of my eyes that receive.... But I do not have to have the benediction of the written idea. I do not have to have my life derived from the intelligible. I do not want to be subject to the true word which is forever misleading or lying, I can stand no longer to be destroyed by the Word, that lie that abolishes itself on paper.

January 17, 1967


in: text buchstabe bild (ausstellungskatalog), zürich 1970, s. xliv-xlv; sowie in: artes hispanicas, vol. 1, no. 3/4 1968, s. 80-82

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texte über henri chopin

christian ide hintze:

chopin ist einer der konsequentesten künstler, der mir jemals begegnet ist. er war der erste, der die schriftliche literatur radikal, nämlich an ihren wurzeln und mit einem neuen medium angegriffen hat. es war ihm klar, dass die schrift ein amputationsinstrument ist, weil sie die stimme und den körper entfernt. seine untersuchungen über die klangwelt des menschlichen körpers gehören zu den faszinierendsten unternehmungen, von denen ich je gehört habe. chopin gebrauchte das mikrofon als eine art akustisches mikroskop, mit dessen hilfe er seine behauptung beweisen wollte, dass das sprechen nicht nur von der stimme, sondern vom ganzen körper erzeugt wird. er ist eine art kolumbus der unentdeckten audiokontinente, ein befreiungskämpfer gegen den imperialismus der literalen diktatur. es ist daher nur logisch, wenn er sich in seinen schriftlichen äusserungen nicht sonderlich um deren gesetze kümmert ...



michael lentz:

henri chopins werk ist lautsprecherpoesie im zeitalter ihrer technischen reproduzierbarkeit.
aus chopins spezifischen strategien der elektroakustischen verarbeitung aufgenommenen klang- und geräuschmaterials resultiert die wahrnehmungsirritation, dass vokale, nonverbale und allgemein körperliche bestandteile seiner "poésie sonore" oftmals nicht mehr genau vom elektroakustischen eigenanteil am auditiven gesamteindruck zu unterscheiden sind.


michael lentz: galerie der lautpoeten. lautsprecherpoesie im zeitalter ihrer technischen reproduzierbarkeit: henri chopin, in: neue zeitschrift für musik
mainz: schott verlag 1998, nr. 5, "musik sprechen", s. 20-21

larry wendt:

was wir in henri chopins "poésie sonore" haben, ist die barbarische, rohe annäherung an die kunst. chopin steckt streichhölzer in die löschköpfe seines alten abgenutzten second-hand tonbandgerätes, stochert mit seinen fingern innerhalb und ausserhalb der tonbandführung herum, traktiert auf andere weise die maschine, um seine mehrschichtige poésie sonore stücke zu produzieren (...) und findet damit ausserordentliche lösungen für kompositorische problemstellungen auf einem sehr einfachen equipment.


larry wendt: "sound poetry: I. history of electro-acoustic approaches. II. connection to advanced electronic technologies", in: lmj. leonardo music journal. leonardo 18, no.1. cambridge: the mit press 1985, s. 16-17.


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sfd-klassen, geleitet von henri chopin

1992

titel: poésie sonore et poésie graphique
referat an der hochschule für angewandte kunst, wien
phonetik- und grafikklasse, frz., engl.
text: arbeit mit tonband und schreibmaschine. arbeit mit elementen der performance: "performance avec des magnétophones et des machines à écrire."

1993

titel: poésie sonore et poésie graphique
phonetikklasse, frz., engl.
text: arbeit mit tonband und schreibmaschine. arbeit mit elementen der performance: "performance avec des magnétophones et des machines à écrire."

2004

titel: poésie sonore
1. bis 8. oktober 2004
assistent: bruno pisek
in kooperation mit dem orf-radiokulturhaus und porgy & bess



sfd-klassen zu henri chopin

2004

titel: übungen zu henri chopins poésie sonore
internetklasse
leitung: jürgen berlakovich und orhan kipcak
link zur internetklasse

2005

titel: übungen zu henri chopins poésie sonore
internetklasse (reopening)
leitung: jürgen berlakovich
link zur internetklasse

2007

titel: übungen zu henri chopins poésie sonore
internetklasse (reopening anlässlich des 85. geburtstages von henri chopin)
leitung: jürgen berlakovich und orhan kipcak
link zur internetklasse



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performances mit henri chopin im rahmen von sfd-veranstaltungen

1992

performance in der wiener urania

1993

performance im kursalon hübner

2004

performance gemeinsam mit bruno pisek im orf-radiokulturhaus

2004

performance im rahmen der henri chopin remixed night im porgy&bess



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werkauswahl

werkliste





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fotos

fotos mit henri chopin

henri chopin: “les filtres percés” 2003



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audio


cd: sound poetry live II - henri chopin remixed, sfd-records / extraplatte 2006



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video

henri chopin performance in der urania 1992 / teil 1



henri chopin performance in der urania 1992 / teil 2



"henri chopin remixed", porgy&bess, 2004



henri chopin und bruno pisek, rund um die burg, 1992



aus: “sprachräume“, orf-dokumentation über die sfd, 2002