prose by Tamara Sedlmayr
 
  Februar in Wien. Seit drei Wochen saß ich hier fest. Gab es noch eine andere Farbe als Grau? Stahl, Beton, Wolken. Alles Grau. In den verschiedensten Schattierungen. Versteinerte Gesichter in der U-Bahn und auf den Gehsteigen. Dazu ein eisiger Wind, der mir die Knochen durchfror. Der einzig warme Trost war mein täglicher Nachmittagsbesuch im Café gleich gegenüber vom Steffl. Im Haas-Haus wäre die Aussicht zwar imposanter gewesen, aber ich mochte die barock geblümelte Betulichkeit lieber. Alte Damen trugen würdevoll und mit großen Gesten Hut und Handschuhe, wahrscheinlich nicht nur im Winter. Die Kellner dienerten mit trotzigem Charme: "Bitte gleich, komm' sofort, Gnä' Frau, . . . " und ließen sich extra lange Zeit um Brösel vom Nebentisch zu fegen oder Zeitungen zu sortieren. Draußen wachte der Dom. Er war einfach da, füllte das Panoramafenster mit massiver Anwesenheit, kaum eines müden Blickes wert. Eines Tages flog etwas vorbei, irgendein verirrter Vogel, keine Taube, drehte in der schmalen Kluft zwischen Domgemäuer und Panoramafenster eine Pirouette und war auch schon wieder weg. Ich starrte noch weiter auf die unbewegte Wand gegenüber, und . . . Es war absurd. Die massive Standhaftigkeit dort drüben dünkte mich auf ein Mal lebendig. Ein uraltes, atmendes, lebendiges Wesen.  
  commentary by the teachers
 
Genau wie man sich Wien aus der Provinz gesehen vorstellt. Trotzdem ist die letzte Zeile etwas übertrieben formuliert.