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statements
von sämtlichen teilnehmern durchgelesene, korrigierte und autorisierte fassung
christian ide hintze
der sogenannte
"bologna-prozess", dessen ziel die schaffung eines gemeinsamen
europäischen hochschulraumes ist, hat zu einer grundsätzlichen
diskussion über die aufgaben, funktionen und strukturen von universitäten
geführt.
dieser vorgang der neuformatierung wäre ein guter anlass, ein jahrhundertealtes
manko der europäischen kultur- und geistesgeschichte endlich zu
beheben: das beinahe völlige fehlen universitärer traditionen
und einrichtungen für die lehre der sprachlichen künste.
robert schindel
eine "akademie für sprachkunst" ist auch im zusammenhang
mit einer globalisierten und immer neoliberaleren welt zu sehen, in
der sich immer stärker die frage in den vordergrund stellt, ob
sich etwas rechnet. ich möchte an den ausdruck des großen
spanischen lyrikers machado erinnern: „poesia es necesaria como
pan“. – "die poesie ist so notwendig wie das brot".
das gilt auch für die kunst im allgemeinen, aber hier sind wir
bei der sprache und bei der poesie. und die sprache ist das einzige
ding, das den menschen von anderen lebewesen unterscheidet, die benennende
sprache nämlich, die namengebende sprache, und die möglichkeit,
sein eigenes erdendasein sprachlich zu reflektieren. das gleiche instrument
zu verwenden, mit dem man um ein brot bittet oder eine welt in einem
gedicht herstellt. dieses zu verfeinern und dieses besser nutzen zu
lernen in richtung einer literarischen sprache, ist sicherlich ein weg
zur zivilisierung und artifizierung des menschen. daher ist es von der
allgemeinen grundlage her durchaus notwendig, dass eine akademie für
sprachkunst entsteht.
gert jonke
es gibt akademien für bildende kunst. und vielleicht hat auch
das dazu geführt, dass in unserem - nicht nur - alltagsleben immer
intensiver „verbildet“ wird und nicht „versprachlicht“.
es ist völlig selbstverständlich geworden, dass wir, um von
etwas zu wissen, ein bild davon haben. wenn wir etwas nicht wissen,
müssen wir es uns zuerst „einbilden“.
genauso ist es in der sprache. wenn wir das wort „baum“
nicht kennen, gibt es für uns keinen baum. dann ist der baum bestenfalls
ein recht kurioses gestänge mit merkwürdigen verstrebungen,
an dem sie bestenfalls ihre wäsche oder sich selbst - oder wir
uns - aufhängen können, aber wir wissen nichts vom wald und
nichts vom rauschen des waldes.
das hat zur folge, dass man sowohl in der bildenden kunst als auch
in der sprachkunst immer mehr erfindungen machen kann. die sprache befähigt
uns, immer wieder etwas neues zu sagen, was man noch nicht gehört
hat, befähigt uns somit, zu erfindern zu werden.
leider droht die sprache leicht ins hintertreffen zu geraten. und sprachverlust
ist auch gleich gefühlsverlust und empfindungsverlust. und es gibt
auch bei gefühlen so etwas wie gescheitheit und blödheit.
die gefühle, die verblöden, sind nicht mehr hervorzuholen,
sondern sind verloren. ein intellekt, der verblödet, ein gehirn,
das verblödet, ein verstand, der verblödet, ist zu heilen.
ein gefühl, das verblödet, ist endgültig verblödet.
das ist etwas ganz schlimmes, diese gefühlsverblödung. die
intelligenz der allgemeinen empfindung droht verloren zu gehen.
und weil wir doch insgesamt vielleicht auch spracherfinder bleiben wollen,
weil wir doch hin und wieder etwas, was noch nicht bekannt ist, hören
und wissen wollen, muss als ausgleich zu den bestehenden akademien der
bildenden kunst auch eine akademie für sprachkunst gegründet
werden. das wäre sehr dringend.
marianne gruber
das mit den gefühlen gefällt mir ungeheuer gut, weil es einen
einwand anspricht, den ich, nicht nur in letzter zeit, immer wieder
gehört habe und zwar, dass mit einer professionalisierung eine
verbürokratisierung und vertechnisierung der sprache einhergeht.
aber genau das gegenteil wäre der fall in einer gesellschaft, in
der normen, die sich in zahlen und statistiken ausdrücken, eine
bedeutsame rolle spielen und entscheidungsgrundlage für alle möglichen
entscheidungen sind. man braucht nur an die universitätsreform
zu denken und an die vorgaben die für die evaluierungen plötzlich
vorgeschlagen werden. ich bin allerdings der ansicht, dass qualität
eigentlich nicht evaluiert werden kann, sondern nur mengen und zahlen.
das wäre die hohe schule, eine akademie für sprachkunst,
wo sich professionalität mit liebe, mit freiheit, mit einer großen
vielfalt paaren kann, ohne dass die zahl und die normierung eine rolle
spielt. selbstverständlich wird man lehrpläne brauchen. aber
diese lehrpläne würden die buntheit und die vielfalt bekunden
können.
orhan kipcak
was den institutionellen rahmen der gründung einer akademie angeht,
so sehe ich ein gutes fenster für möglichkeiten. wie sie wissen,
setzen sich alle europäischen hochschulen und universitäten
im rahmen des sogenannten bologna-prozesses dafür ein, ihre curricula
so umzustrukturieren, dass sie zueinander kompatibel werden.
das heißt, dass wir einer englischen, amerikanischen form von
studium gegenüberstehen werden. es wird bachelors geben, masters.
das zwingt alle ausbildungseinrichtungen dazu, ihre gesamte struktur
zu überdenken.
es ist ein informativer prozess, der da im laufen ist. es wäre
eine gute gelegenheit, die schule für dichtung an eine universität
in irgendeiner form anzubinden oder vielleicht in einer assoziation
zu einer einrichtung zu institutionalisieren. diese möglichkeit
wahrzunehmen, ist jetzt die absicht von uns allen.
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statements
procedere
historie
protokoll 1. kuratoriumssitzung
materialienbände
literaturhinweise
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schule für dichtung (sfd):
historie, universitär
1992, april: gründungsveranstaltung der sfd. die lehrveranstaltungen
der folgenden jahre werden in kooperation mit der hochschule für
angewandte kunst in wien organisiert, u.a. mit artmann, bauer, rühm,
ginsberg, waldman, falco, cave, streeruwitz, jonke, schindel.
1993: h.c. artmann, wolfgang bauer, peter rosei, gerhard rühm, kurt
neumann, marianne gruber, ferdinand schmatz und ide hintze diskutieren
als mitglieder des sogenannten "kuratoriums" pro und contra
einer möglichen weiterentwicklung bzw. übersetzung der sfd-programme
in universitäre strukturen.
1994: das gremium beendet - mangels organisatorischer und finanzieller
perspektiven - seine arbeit.
1998, märz: das ministerium für wissenschaft und forschung des
landes nordrhein-westfalen organisiert auf initiative von herrn dr. eugen
gerritz, der die gründung einer literaturakademie in düsseldorf
angeregt hat, das internationale symposion "studienziel: dichter.
ist literarisches schreiben lehrbar?" und lädt die sfd gemeinsam
mit experten aus moskau, leipzig, berlin, amsterdam ein, sich mit vorschlägen
und referaten zu beteiligen. die diskussionen finden im düsseldorfer
landesparlament statt. ergebnis: ein buch mit ausgewählten beiträgen
zum thema. (die geplante akademie ist nicht realisiert worden, stand 2005)
1998, oktober: prof. dr. carl pruscha, rektor der akademie der bildenden
künste in wien nimmt die fortdauernde positive zusammenarbeit zwischen
sfd und akademie zum anlass, sich für eine universitäre perspektive
der sfd zu engagieren. er ist der ansicht, das aufgabengebiet einer akademie
für sprachkunst sei zu groß, um bloß als institut im
rahmen einer der bestehenden kunstakademien institutionalisiert zu werden.
pruscha, der der ansicht ist, die sfd müsse eine entsprechende raumvorstellung
phantasieren, schlägt das seit jahrzehnten leerstehende schloss
neugebäude vor und organisiert eine begehung, an der - unter
der fachkundigen leitung des stadtarchäologen herrn senatsrat dozent
dr. hartl - vertreter der lehrer- und studentenschaft der sfd teilnehmen.
1999: gründung der virtuellen akademie: entwicklung
von digitalen lehr- und lernprogrammen, internetklassen, online-vorlesungen
und - diskussionsforen (entwurf, design, linkssysteme: orhan kipcak, ide
hintze). h.c. artmann leitet im oktober die erste internetklasse:
"übungen zur montagetechnik", artmanns 2te internetklasse
im herbst 2000 lautet: "asterix und obelix ins wienerische übersetzen".
weitere lehrer/lehrerinnen: anne tardos (usa), marlene streeruwitz, curd
duca, rosa pock-artmann, sabine scholl, andrea fehringer, günther
selichar, peter vieweger, johann skocek, bernhard widder, stermann/grissemann,
roland neuwirth, orhan kipcak, renée gadsden, gertraud marinelli-könig,
jürgen berlakovich (alle aut), ayu utami (indonesien), waris dirie
(somalia), henri chopin (fra) u.a.
1999, september: nachdem das schloss neugebäude von allen beteiligten
als nicht geeignet, weil zu baufällig, beurteilt worden ist, kommt
es zu einer neuerlichen begehung: palais rasumofsky im
3. wiener gemeindebezirk. das objekt befindet sich im besitz des bundes.
die z.z. dort ansässige geologische bundesanstalt wird demnächst
ausziehen und in ein neues objekt übersiedeln. an der begehung nehmen
vertreter des bundes, der stadt wien, der bildenden, der sfd und verwandter
wiener literaturorganisationen teil. das objekt wird als geradezu ideal
eingestuft, nutzungspläne, kostenpläne werden erstellt.
2001, sommer: boris groys (ger), der neue rektor der akademie
der bildenden künste, bietet der sfd eine langfristige kooperation
an. ziel: gemeinsamer aufbau einer im europäischen kontext arbeitenden
"virtuellen akademie" im schnittfeld zwischen sprachkunst und
bildender kunst. eine arbeitsgruppe bestehend aus vertretern beider institutionen
sowie beratern aus den bereichen e-learning und webdesign
wird eingesetzt, um fragen der programmierung, finanzierung, organisation,
evaluation und nachhaltigkeit zu diskutieren.
2001, oktober-dezember: die "virtuelle akademie 2001" wird gemeinsam
mit der akademie der bildenden künste organisiert und via vorlesungsverzeichnis
als übung angeboten. die studierenden haben erstmals die möglichkeit,
zeugnisse für die teilnahme an den übungen der internetklassen
zu erwerben.
2001, dezember: die akademische kooperation/perspektive endet mit dem
abgang von boris groys als rektor der akademie der bildenden künste.
2002: nach 2 weiteren begehungen des palais rasumofsky werden die bestehenden
kosten- und nutzungspläne verfeinert und durch ein arbeitskonzept
ergänzt.
2002, sommer: auf vorschlag des wissenschaftsministeriums nordrhein-westfalen
und des literaturrats beruft die folkwang hochschule (essen, ger) ide
hintze in die expertenkommission "lehrstuhl text".
ziel: diskussion und ausarbeitung der rahmenbedingungen/eines curriculums
zur gründung eines eigenen lehrstuhls "text" an der folkwang
hochschule. (das projekt ist nicht realisiert worden, stand: 2005)
2002, november/dezember: anlässlich der veranstaltungsreihe "10
jahre schule für dichtung" (mit nick cave, waris dirie, yoko
ono, gerhard rühm, friederike mayröcker, wolfgang bauer u.a.)
bekunden vertreter aus kunst, wissenschaft und politik ihre grundsätzliche
unterstützung für die universitäre perspektive.
2003, februar: vorläufiges, beratendes gremium akademie für
sprachkunst: mitglieder u.a.: gert jonke, robert schindel, marlene
streeruwitz, univ. ass. mag. dr. renée gadsden (universität
f. angewandte kunst, inst. für kultur- und geistesgeschichte), christian
ide hintze (sfd), prof. orhan kipcak (joanneum graz, fachhochschule für
mediendesign; adm – atelier für digitale medien), dr. gertraud
marinelli-könig (akademie der wissenschaften), dr. kurt neumann (literarisches
quartier - alte schmiede), mag. barbara ruhsmann (germanistin, diplomarbeit
zum thema), univ. prof. dr. wendelin schmidt-dengler (universität
wien, institut für germanistik; österr. literaturarchiv), univ.
prof. dr. manfred wagner (universität f. angewandte kunst, inst.
für kultur- und geistesgeschichte)
2003: das palais rasumofsky wird vom bund an private verkauft.
2005, märz: internationaler kongress für literarisches
schreiben, leipzig. veranstaltet vom deutschen literaturinstitut
leipzig/universität leipzig in zusammenarbeit mit der schule für
dichtung - vienna poetry school, dem studiengang litterär gestaltning/universität
göteborg und der autorenakademie - literárni akademie/prag.
ca. 40 verschiedene z.t. universitäre projekte aus europa, usa, und
asien werden vorgestellt und im plenum diskutiert. im mittelpunkt der
diskussionen stehen: curricula, mehrsprachigkeit, multimedia, vereinheitlichung/kompatibilität
der studienpläne innerhalb der eu ("bologna-kriterien").
2005, juni: ein proponentenkomitee (robert schindel, gert jonke, orhan
kipcak, marianne gruber, ide hintze) stellt im rahmen einer pressekonferenz
im wiener café ritter das sogenannte "procedere"
vor: eine liste von vorschlägen, die den weg zur gründung einer
"akademie für sprachkunst" beschreiben. diese vorschlagsliste
wird in der folge von zahlreichen kolleginnen und kollegen unterstützt
und bildet die grundlage für die im herbst 2005 geplante gründungsversammlung.
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Protokoll 1. Kuratoriumssitzung
von sämtlichen teilnehmern durchgelesene, korrigierte und autorisierte fassung
Datum: 2. Juni 93, 14.30 Uhr
Ort: Café Prückl, Ecke Luegerplatz/Ring, 1010 WIEN, Biberstraße
Mitglieder: H.C. Artmann, Wolfgang Bauer, Marianne Gruber, Christian
Ide Hintze, Kurt Neumann, Peter Rosei, Gerhard Rühm, Ferdinand
Schmatz
Anwesend: Marianne Gruber (15.30 bis 18 Uhr),
Christian Ide Hintze (14 Uhr 30 bis 18 Uhr),
Kurt Neumann (14 Uhr 30 bis 17.00),
Peter Rosei (14 Uhr 30 bis 18 Uhr),
Gerhard Rühm (14 Uhr 30 bis 18 Uhr),
Ferdinand Schmatz (14 Uhr 30 bis 17 Uhr),
Schule für Dichtung: Sonja Orator, Nathalie Prasser, Sabine Schuster.(alle
von 14 Uhr 30 bis 18 Uhr)
Entschuldigt: H. C. Artmann, Wolfgang Bauer
Protokollführerin: Nathalie Prasser
Hintze:
- (begrüßt die Anwesenden)
- Artmann mußte in Salzburg bleiben, Bauer in der Steiermark;
beide unterstützen die Idee, die SfD organisatorisch in eine Akademie
weiterzuentwickeln; beide sind bereit, als Lehrer auch dann zur Verfügung
zu stehen, wenn ein Ganzjahresbetrieb eingerichtet wird;
- (schildert den Werdegang des Projekts von den ersten Sappho-Studien
auf der Insel Lesbos, über das Studium der Kerouac School, bis
hin zur Gründung der SfD und das internationale Symposion "Über
die Lehr- und Lernbarkeit von Literatur" im April 92; berichtet
vom Abschluß einer Vereinbarung mit dem Passagen Verlag; Gründung
einer EDITION SCHULE FÜR DICHTUNG IN WIEN; fordert die Anwesenden
auf, Herausgeberschaften für Bücher zu übernehmen, die
zum Themenkomplex "Literaturschule" gehören; die Publikationsmöglichkeit
sollte genützt werden);
- wir sind rascher als erwartet, von der Theorie zur Praxis und von
der Praxis zu den konkreten Organisationsfragen gelangt; es ist keineswegs
zu früh, bereits jetzt die Organisation einer Jahres-Akademie zu
besprechen
- zum historischen Bogen: Zitat Nietzsche:
"Wer (...) sich ernstlich zum Redner ausbilden wollte, oder wer
in eine Schule des Schriftstellers zu gehen beabsichtigte, er fände
nirgends Meister und Schule; man scheint hier noch nicht daran gedacht
zu haben, daß Reden und Schreiben Künste sind, die nicht
ohne sorgsame Anleitung und die mühevollsten Lehrjahre erworben
werden können."
- die Bezeichnung "Kuratorium" ist vorläufig; wir sollten
auch darüber sprechen, in welcher Beziehung dieses Kuratorium zur
SfD stehen soll.
Rosei: Die Frage der Lehr- und Lernbarkeit von Literatur kommt ja weltanschaulich
von ganz wo anders herzukommen als wir. (lacht)
Hintze: Inwieweit läßt sich das, was sich nicht institutionalisieren
läßt, doch institutionalisieren Widerspruch: Literatur subversiv
gegen Institutionalisierung - Institution einer Akademie
Rühm: Subversivität hängt nicht von der Organisationsform
ab, sondern von den Lehrern.
Hintze: Rosei hat in seinem Eröffnungsreferat (April-Akademie 93)
eine zukünftige Akademie entworfen (Der Text wurde an alle Teilnehmer
verschickt).
Rühm: Ich hab das Einleitungsreferat vom Rosei gelesen.
Rosei: Die Frage ist: Laßt man die SfD so wie sie ist und versucht
dazu parallel ein zweites, von Anfang an institutionalisiertes Projekt?
Rühm: Der Lehrplan hängt wesentlich von den Leuten ab, die
man einlädt, so wie an Kunsthochschulen.
Schmatz: Das muß auch so beibehalten werden.
Rühm: In Hamburg, wo ich ja unterrichte (Kunsthochschule), gibt
es 2 verpflichtende Grundsemester. Während dieser Einfürhungs-Orientierungssemester
haben die Studenten die Möglichkeit, sich die einzelnen Klassen
anzuschauen. Die Studenten sind danach aber nicht in eine bestimmte
Klasse förmlich eingeschrieben.
Schmatz: Das ist in der Angewandten nicht der Fall und das ist auch
ein großes Problem.
Rühm: Am Schillerplatz auch nicht. Die Lehrer der einzelnen Klassen
sind dort ja böse, wenn ein Student die Lehrer wechselt.
- Man muß überlegen, inwieweit man die Studenten auf nur
einen Lehrer festlegt.
- Bei kurzfristigen Kursen muß man die Studenten festlegen, aber
nicht bei längerfristigen Klassen.
- Der Nachteil des Modells, bei dem ein Student parallel mehrere Lehrer
hat, ist, daß manche Studenten verunsichert werden, wenn ihnen
jeder Lehrer etwas anderes sagt.
- Falls die SfD einen Ganzjahresbetrieb plant, müßte man
fragen: Gibt es Semester?, Wieviele Semester wird es geben?
Schmatz: Das war ja auch die Frage vom Rosei. Soll die SfD in eine Akademie
der Dichtung gehoben werden?
Hintze: Wir haben die SfD zunächst einmal als ein Forum geschaffen,
einen Ort, an dem Erfahrungen gesammelt, Utopien entwickelt werden können:
inhaltliche, formale, organisatorische. Die Kerouac School ist ähnlich
vorgegangen: Zuerst einmal pro Jahr Sommerakademien, dann Ganzjahresbtrieb,
schließlich ordentliches Universitätsinstitut mit staatlicher
Anerkennung und Förderung.
Neumann: Akademie ist kein staatlich geschützter Begriff.
Rühm: In Hamburg im Studienfach FREIE KUNST gibt es zweierlei Studenten:
Kunst-Pädagogikstudenten und freie Kunststudenten.
Für die Kunststudenten gibt es drei Noten: Durchgefallen, Durchgekommen,
Mit Auszeichnung bestanden.
- Die Benotung ist auf Druck der Studenten eingeführt worden. Die
Behörde hat daraufhin Prüfungen verlangt. Der Student stellt
Arbeiten des letzten Jahres aus und muß diese kommentieren. Diese
Prüfungen werden von der Behörde anerkannt.
Schmatz: Ist das dem Diplom gleichzustellen?
Rühm: Ja.
Schmatz: Das ist mir für die SfD unvorstellbar.
Rühm: Ich red ja nur von den freien Kunststudenten.
- Bei den Kunst-Pädagogikstudenten gibt es 2 Richtungen. Je nachdem,
wo sie unterrichten wollen. Die Pädagogikstudenten müssen
umfangreichere Prüfungen ablegen.
Hintze: Können das so Arbeiten sein, wie Rosei sie in seinem Text
beschrieben hat?
Rühm: Ja. Im Falle einer Institutionalisierung besteht die Chance,
daß zukünftige Deutschlehrer bei uns studieren können.
Rosei: Der Minister erwartet sich ja eine Erweiterung in Richtung Journalismus,
Werbung, etc.
Schmatz: Das muß sich erst entwickeln.
Rosei: In der derzeitigen Phase bin ich für Personenbezogenes.
Die jeweiligen Lehrer entscheiden über die Inhalte.
Neumann: Ich bin dagegen, an einer SfD Jounalismus zu unterrichten.
Man muß doch der Publizistik nicht auch noch etwas abnehmen.
Rosei: Wir konzentrieren uns auf das, was Kunst bedeutet.
Schmatz: Unter Schreibkunst fällt das eine wie das andere.
Schuster: Der Minister redet so, weil er nicht noch mehr Arbeitslose
ausgebildet sehen möchte.
Rühm: Keine Kunsthochschule kann das.
Schmatz: Kommen wir auf den Punkt zurück: Erweiterung oder nicht.
Es ist wichtig, Satelliten zu setzen, aber der Kern muß die Dichtung
sein.
Rühm: Schreibkunst ist mir zu eng. Ich finde nach wie vor den Titel
"Schule für Dichtung" sehr gut.
Schmatz: Ich bin nicht sehr glücklich damit.
Rosei: Poesie, Akademie der Poesie.
Rühm: Das ist nur ein Fremdwort für Dichtung.
Hintze: zur weiteren Entwicklung: da es keine gesetzliche Grundlage
für die Gründung von privaten Universitäten gibt, wird
unser Finanzpartner notgedrungen, und ideologisch auch besser vertretbar,
die Öffentliche Hand sein.
- 1995/96 wäre ein Datum, das wir im Auge haben sollten. Milleniumsfeiern
bzw. 50 Jahre nach 1945. Die Öffentliche Hand ist bereit, repräsentative
Projekte bzw. Pionierprojekte großzügig zu fördern.
Man sollte an "Neue Österreichische Gründerzeit"
appellieren. Wir könnten zweierlei erreichen:
- entweder die Einrichtung und Finanzierung eines Ganzjahresbetriebs
- oder den Ankauf/ die Anmietung eines eigenen Gebäudes.
Bis dahin sollten wir wissen, was wir wollen:
- Variante 1: auf der Basis eines unabhängigen Künstlerprojekts
einen neuen Typus von Universität; zuständig Scholten
- Variante 2: ordentliches Universitätsinstituts; zuständig
Busek
- Variante 3: Mischform aus 1 und 2; zuständig interministerielle
Kommission
Schmatz: Wir sollten die Scholtenrichtung anstreben.
Neumann: Ich würde pragmatischer vorgehen. Ich würde von dem
ausgehen, was die SfD bisher schon erreicht hat und dazu einige Linien
aus dem Programm der Alten Schmiede hineinverweben, die Wiener Vorlesungen.
Dazu einige Fäden aus der Arbeit von Marianne Gruber und der Österreichischen
Gesellschaft für Literatur. Außerdem: Was paßt vom
Oberhuber dazu?
Man könnte mit einer Art Programmkoordination beginnen. Ich habe
einen gewissen Überblick über 1994, daraus könnte man
ein koordiniertes Jahresprogramm erstellen.
Mit diesem Modell könnte man dann die verschiedenen Minister ansprechen.
Rosei: Du brauchst auf jeden Fall eine Art fixes Kollegium, das die
Leute einlädt.
Oratro: So in etwa haben wir uns das auch vorgestellt.
Wir erstellen einen Drei-Jahres-Plan mit Stamm- und Gastlehrern. Über
die Zusammensetzungen entscheiden die Programm-Macher bzw. das Kuratorium.
Dieser Plan wird dem Minister zur Finanzierung vorgelegt.
Ich kann mir einen Jahresbetrieb schon vorstellen, aber nicht daß
wir die jetzigen Blöcke einfach auf ein Jahr ausdehnen. 2 mal 10
Lehrer, dazu 1 mal 4 Lehrer auf dem Land. Das ergäbe 24 Klassen.
Wir müßten einen neuen Ansatz finden.
Rühm: Es ist eben ein Unterschied, ob es sich um etwas Kurzfristiges
oder um etwas Längerfristiges handelt. Kurze Klassen wie jetzt
haben andere Inhalte und engere Entwicklungsmöglichkeiten als Klassen,
die sich über Semester hinziehen.
Prasser: Für unsere Entscheidung sollte nicht die Beziehung zu
dem jeweiligen Minister ausschlaggebend sein, sondern die Form des Projektes
selbst. Ich bin für das Modell des autonomen Künstlerprojekts,
einen neuen Typ von Universität.
Schmatz: Wie der Kurt schon gesagt hat: wir sollten die erwähnten
Schritte machen, zunächst also in Richtung Scholten. Wie es dann
weiter geht, wird man ja sehen.
Neumann: Ich glaube, es wird letztlich eher die Mischform werden.
Rosei: Die Frage, wer für uns zuständig ist, ist nicht so
wichtig. Die Formen und Inhalte unseres Projekts werden dann schon die
Zuständigkeiten zeigen.
Schmatz: Aber der Hintze muß doch verhandeln mit dem Zuständigen.
Es muß einen zuständigen Minister geben. Man kann nicht ohne
konkreten Finanzierungspartner arbeiten. Wenn wir uns auf universitären
Boden begeben, übernimmt die Bezahlung der Lehrer der Bund. Da
entstehen Abhängigkeiten.
Oratro: Es gibt Pragmatisierte und Gastprofessoren. Für Kunsthochschulen
sind Pragmatisierte das Todesurteil.
Rühm: In Hamburg gibt es Gastprofessoren, beamtete Professoren
und Lehrbeauftragte.
Rosei: Wir bleiben autonom und der Bund gibt uns das Geld. (lacht)
Schmatz: Genau das ist es.
Gruber: Wir diskutieren seit Jahren über die Abschaffung von Noten
und Beamten. Es wäre nicht gut, wenn ausgerechnet wir jetzt wieder
damit anfangen. Wir sollten uns das gar nicht erst einführen. Ich
würde mich an keine der vorhandenen Formen anlehnen. Ich würde
das Neue versuchen.
Schmatz: Dann kommt vielleicht sowas wie bei der Verlagsförderung,
daß man jährlich neu über eine Förderung entscheidet.
Man muß das Projekt gesetzlich absichern.
Oratro: Es gibt jetzt seit kurzem dieses Konzept der Fachhochschulen.
Fachhochschulen müssen nicht staatlich betrieben werden. Fachhochschulen
können auch von Vereinen GesmbH´s und dergleichen betrieben
werden.
Neumann: Wer ist für Fachhochschulen zuständig?
Oratro: Das Wissenschaftsministerium.
Rühm: Ich hab eine Aversion gegen den Begriff der Fachhochschule.
Schmatz: Wer interessiert sich denn für die Dichter? Sicher nicht
die Wirtschaft.
Hintze: Oberhuber, als Rektor der Angewandten, hat SfD von Anfang an
unterstützt, weil er sich davon auch Impulse erwartet hat. An den
bestehenden Kunsthochschulen passiert ja auch viel Scheiße.
Künstlerprojekte oder auch Projekte wie das Literaturhaus müssen
ihre Budgets von Jahr zu Jahr neu einreichen. Ein langfristig gesichertes
Budget haben eigentlich nur die Salzburger Festspiele. Ich habe dem
Scholten versucht zu erklären, daß eine Schule für Dichtung,
egal in welcher Organisationsform, auf die Dauer natürlich nicht
von Jahr zu Jahr arbeiten kann. Der Gedanke einer Literaturakademie
ist neu, also sollten sich die Finanziers auch neue Modelle überlegen,
oder zumindest gesprächsbereit dafür sein. Ich habe ihm erklärt,
daß wir mindestens Drei-Jahres-Verträge machen können
sollten. Scholten wäre bereit, sich für eine Drei-Jahres-Finanzierung
einzusetzen.
Neumann: Dann sind wir wieder bei den berühmten Fünf-Jahres-Plänen.
Gruber: Lieber ein Risiko eingehen, als unter fremde Flügel schlupfen.
Wichtiger wäre es, ein Netz aufzubauen. Ein Netz von Arbeits-,
Kommunikations- und Publikationsmöglichkeiten. Eine Zusicherung
für die Publizierung von Studententexten in diversen Literaturzeitschriften
wäre denkbar: Lichtungen, Manuskripte, Protokolle, Limes, etc.
Oratro: Die Erstellung eines Lehrplans wäre wichtig; die Einrichtung
von Basissemestern.
Schmatz:Aber eine Einführung zum Beispiel in die Verslehre ist
langweilig.
Prasser: Bei unseren Lehrerkonferenzen haben sich einige über die
Unkenntnis ihrer Studenten beschwert und etwas wie einen Grundkurs gefordet.
Schmatz: Und wer unterrichtet das?
Oratro: Man könnte soetwas im Grundsemester unterrichten
Gruber: Ich würde unter Grundsemester etwas anderes verstehen.
Bei der Juli-Akademie sind mir 2/3 der Teilnehmer bereits bekannt. Ich
kann nicht nocheinmal das selbe erzählen wie bei der September-Akademie.
Nur wer bereits im 1. Kurs war, sollte den 2. besuchen dürfen.
Schmatz: Was aber heißt, das der Rühm 2 Kurse machen sollte.
Oratro: Es sollten immer wieder Einführungskurse der jeweiligen
Lehrer stattfinden. Einführungsklassen, bei denen sich gewisse
Grundinformationen wiederholen.
Schuster: Das wäre im Ganzjahresbetrieb möglich. In anderen
Literaturschulen wird das tatsächlich so gehandhabt. Gorki-Institut,
Johannes R. Becher Institut.
Rühm: Es ist wichtig, wer diese Einführungen macht, ob das
der Reich-Ranicki oder unsereiner macht.
Neumann: Das Kollegium legt fest, was man als Grundlage braucht.
Rühm: Das ist aber schon wieder schwierig zu sagen.
Gruber: Eine Leseliste der wichtigsten Autoren.
Rühm: Wer bestimmt die? Zuviele Namen verwirren auch nur.
Schmatz: Man sollte ein Aufnahmegespräch führen.
Rühm: Das ist viel zu kompliziert.
Hintze: Wir sollten uns bemühen, die Diversität, die Pluralität
zu organisieren. Wenn der Lehrer A Aufnahmegespräche haben will
und einen Grundkurs, dann organisieren wir das eben. Wenn der Lehrer
B das anders haben will, dann organisieren wir das auch. Möglichst
wenig über einen Leisten scheren, wäre wichtig.
Schmatz: Was macht man mit denen, die übrig bleiben?
Rühm: 3 Professoren, 3 Assistenten, 3 Studenten bilden ein Gremium,
welches entscheidet, wer aufgenommen wird, wobei die studenten nur beratende
Stimme haben.
Oratro: Die Leute bekommen Depressionen wegen dieser Auswahlkriterien.
Rosei: Pro Semester hält jeder Lehrer eine Vorlesung zum Thema
seiner Wahl.
Rühm: Ich mache ja viele Sachen in Hamburg, die ich nicht machen
müßte, die nicht im Lehrplan vorgesehen sind.. Es kommt auf
die Leute in meiner Klasse und die jeweiligen Interessenschwerpunkte
an. So habe ich z. B. 2 Semester kein Aktzeichnen unterrichtet, jetzt
gibt es wieder Aktzeichnen.
Oratro: Was sind die Fixpunkte?
Rühm: Ich leite eine Klasse für freie Grafik und künstlerische
Grenzbereiche. Bei einem dreiwöchigen Kurs sollte man nur ein Thema
angehen. Je kürzer die Veranstaltung (Kurszeit), umso genauer sollte
man das Thema festlegen. Je länger, umso weniger genau muß
man sich festlegen.
Gruber: Ein Teil derer, die sich für meine Juli-Klasse angemeldet
hat, hat sich extra für diese 2 Wochen Zeit genommen. Ich weiß
nicht, ob die auch kommen würden, wenn sie ein ganzes Jahr bleiben
müßten.
Rühm: Das betrifft aber auch die Lehrenden. Ein Gastprofessor kommt
während des Gastsemesters oft nur 2 mal für eine knappe Woche.
Schmatz: Gastvorträge sind ganz wichtig.
Hintze: Es ist ja auch die Frage: Sind die Momente der Inspiration eher
in kurzen oder in langandauernden, sich wiederholenden Begegnungen möglich?
Rosei: Aufbauen ist ein schlechter Begriff. Aufbauende Klassen sind
nichts für Dichter.
Oratro: Ich meine damit fortführend.
Hintze: Wenn wir nun versuchen, eine Drei-Jahres-Finanzierung zu erreichen:
Wie sieht das konkret für euch aus? (zu Rühm) Hättest
du in den kommenden drei Jahren überhaupt Zeit?
Rühm: Ab 96 schaut das gut aus, bis dahin schaut's schlecht aus.
Hintze: 2 mal pro Jahr für je eine Woche?
Rühm: Im Mai und Oktober/November haben wir Prüfungen. Im
September bin ich auf Urlaub. Der April wäre ein guter Monat.
Hintze: Wir planen ja auch einige sozusagen dislozierte Projekte: in
Neuberg / Mürzzuschlag mit der Walter Buchebner Gesellschaft; in
Alma Ata mit der dortigen Fremdsprachen-Universität.
Rühm: Da müssen wir etwas über Trotzki machen.
Hintze: Wer sollte eurer Meinung nach dem Kuratorium angehören?
Fürs erste, habe ich gedacht, sollten nur Dichter und Dichterinnen
dabeisein. Eben so wie heute. Für später sollten wir weitere
taktische Überlegungen berücksichtigen.
Schmatz: Ich würde das relativ locker halten, wir nehmen jemanden
dazu und lassen ihn auch wieder weg.
Rosei: Ich würde niemanden reinnehmen, den wir nicht reinnehmen
müssen. Aber ich hatte von Anfang an den Ernst Jandl im Vorschlag
drin
Hintze: Oberhuber? Er ist immerhin unser Gastgeber und versteht, als
Praktiker, einiges von den Zusammenhängen Künstlerindividuum
- Künstlerakademie.
Schmatz: Bringt das was?
Hintze: Mayröcker und Jandl? Ich möchte unbedingt, daß
wir uns gemeinsam entschließen, sie einzuladen.
Schmatz: Wenn man die beiden einbezieht, müßte man es Gesellschaft
für Dichtung nennen.
Hintze: Eine gewisse Zurückhaltung unserem Projekt gegenüber
ist sicherlich festzustellen.
Neumann: Das hat damit zu tun, daß Jandl an einem konkurrierenden
Projekt arbeitet. Er möchte ja die Friedgesellschaft zu einer Akademie
machen.1 Es müßte klare Zielvorstellungen der SfD geben.
Weniger im name-dropping als im Inhaltlichen.
Schmatz: Man muß sich nicht auf große Namen stützen.
Neumann: Die Initiative geht von der SfD aus. Danach wird ein Kuratorium
eingesetzt, ein kleiner Kreis, der fest von der Sache überzeugt
ist. Sonst ist beides von vornherein zerfasert.
Hintze: Was beides?
Neumann: Personelle Auffettung und Inhalt.
Gruber: Wir diskutieren zwei Wege: die Verkaufsstrategie und den Inhalt.
Diese beiden müssen sich nicht gleichen.
Neumann: Entweder wir kümmern uns zuerst um den Inhalt und vergrößern
danach das Kuratorium, oder umgekehrt.
Hintze: Es wäre jedenfalls schade, wenn in Wien zwei Konkurrenzprojekte
existieren. Hunderte Jahre war nichts. Und jetzt plötzlich an einem
Ort zwei. Die besten Kräfte sollten zusammenarbeiten. Ich glaube,
daß uns das gelingen könnte.
Schmatz: Das ist Illusion.
Neumann: Jeder hat berechtigte Vorstellungen. Die auf eine Basis zu
bringen ist unmöglich.
Hintze: Vielleicht bin ich zu jung, um das beurteilen zu können,
aber mir kommt vor, daß sich da gewisse Muster aus den 50-er Jahren
wiederholen. Ich möchte nicht, daß sich für Jandl das
Trauma "Wiener Gruppe" wiederholt. Hier Artmann und Rühm
- und er ist wieder draußen.
Rühm: Ich schätze seine Arbeit sehr und betrachte mich als
guten alten Freund, aber ich halte manche Leute, die er schätzt
und hofiert für Arschlöcher.
- Daß die GAV zu einer Literaturschwemme geworden ist, geht nicht
zuletzt auf Ernst Jandl zurück. Ich war immer dagegen, daß
man zu viele Leute aufnimmt und das ist leider die Politik von Ernst
Jandl, weil er glaubt, daß man mit mehr Mitgliedern auch mehr
durchsetzen kann.
- Er sagt und macht viel Gutes, er setzt sich auch für Leute ein,
die unbeliebt sind. Das schätze ich sehr an ihm, aber seine populistische
Seite mag ich sehr viel weniger.
Gruber: Die Wiener Gruppe hat nach außen hin einen Körper
dargestellt, den man nicht nachahmen kann und an den man auch nicht
herankommt.
Rühm: Wir waren sehr isoliert.
Hintze: Ich hatte ja lange Zeit die Vorstellung, man könnte in
der GAV etwas machen. Aber nur, wenn man einen radikalen Neubeginn wagt.
Nachdem 1989 mein Selbstauflösungantrag niedergestimmt worden war,
war für mich klar: es geht tatsächlich nur in einer kleinen
Gruppe. Bei der Entwicklung einer Literaturakademie aber kommt ein gewisses
technisch-politisches Moment hinzu. Das Projekt SfD konnte nur deshalb
so erfolgreich beginnen, weil wir, bevor wir an die Öffentlichkeit
gegangen sind, monatelang politische Kleinarbeit geleistet haben: Gespräche,
Briefe, Verhandlungen mit den Repräsentanten aller literarisch
und literarisch-organisatorisch relevanten Strömungen. Darum werden
wir auch in Zukunft nicht herumkommen.
(Alle Anwesenden sprechen sich dafür aus, bei Jandl und Mayröcker
vorzufühlen und sie zu einer Kuratoriumssitzung einzuladen.)
Oratro: Die Impulse kommen vom Kuratorium. Die Knochenarbeit macht
das Team der SfD.
Hintze: Da wir hier Arbeit leisten, schlage ich vor, daß den Kuratoriumsmitgliedern
in Zukunft Sitzungsgeld und Reisekosten bezahlt werden.
Rosei: Nicht zu hoch, bitte. (lacht)
Schmatz: Ich brauche für die Sitzung kein Geld. Es sollten eher
die Honorare bei den Akademien höher sein. Wenn es zu richtigen
Arbeitssitzungen kommt, könnte man Geld verlangen.
Rosei: Wenn der Arbeitsaufwand steigt und ich einen Lehrplan erarbeiten
sollte, dann vielleicht.
Schmatz: Der kleine Kreis ist produktiver. In der weiteren Entwicklung
sollten aber schon Gäste hinzu kommen.
Gruber: Das Arbeitsklima muß gut sein, man darf nicht erst überlegen,
kann ich das jetzt in diesem Kreis sagen, oder nicht.
Neumann (zu Hintze): Ich verstehe dein Anliegen mit dem Ernst. Du solltest
dich mal mit ihm zusammensetzen.
Gruber: Der Ernst Jandl will die Fried-Gesellschaft zu einer Akademie
machen.2 Das heißt also, wir müssen geschwind sein.
Neumann: Nein, das nicht. Wir müssen konsequent sein.
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Um ca. 17 Uhr: Gruppenfoto; danach verlassen Ferdinand Schmatz und Kurt
Neumann die Runde.
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Rühm: Bevor wir alle auseinandergehen: Machen wir doch Nägel
mit Köpfen:
- Bleiben wir weiterhin an einem provisorischen Platz, oder gibt es
einen festen Ort?
Hintze: Der 95/96er Termin bietet eine reelle Chance für ein eigenes
Haus.
- im Gespräch: Übersiedlung in den Messepalast, ins Museumsquartier.
Scholten ist dafür, Busek wehrt sich noch.
- das Areal rund um den Kursalon wäre natürlich ideal: im
Grünen gelegen, an einem Fluß, dennoch mitten in der Stadt;
das Ganze ist im Eigentum der Gemeinde, Hübner ist Pächter;
man müßte herausfinden, wie die Vertragssituation ist.
Oratro: Unger ist bereit, der Minister ist bereit; wir müssen nur
konkrete Vorschläge bringen.
Rühm: Das Haus sollte auf alle Fälle im Zentrum gelegen sein
oder am Ring.
Rosei: Eine erlebbare Raumabfolge wäre günstig. Der Hübner
ist zu groß.
Rühm: Der Messepalast wäre sehr gut. Da sind die Museen, die
Bildende Kunst. Für interdisziplinäres Arbeiten wäre
das von Vorteil.
Rosei: Was ist mit dem alten AKH?
Prasser: Dort sollen Institute der Hauptuni hineinkommen.
Rosei: Man könnte es dort versuchen.
Rühm: Man muß Schlafräume für Leute aus dem Ausland
vorsehen.
Hintze: So wie in unserem ersten Konzept, wo wir von einem WELCOME CENTER
FOR TRAVELING POETS.gesprochen haben?
Rühm: Man muß Räume für die Gatsprofessoren haben.
Hintze: Wenn es zu konkreten Verhandlungen kommt: Könntest du dich
da beteiligen? Zum Minister mitgehen? Zur Stadträtin mitgehen?
Rühm: Wenn Ich da bin, natürlich.
Hintze: Wie schaut die Unterrichtsorganisation aus?
Rühm: Darüber soll jeder Lehrer selber entscheiden.
Hintze: Geben wir den Studenten Scheine?
Rosei: Ja natürlich, Besuchsbescheinigungen. Aber keine Zeugnisse.
Ich bin gegen Zeugnisse.
Hintze: Ginka Steinwachs ist für Teilnahmebescheinigungen. Und
sie hat letzthin bei der April-Akademie schon welche ausgegeben.
Rühm: Wie in Salzburg bei der Sommerakademie. Man bestätigt
die Teilnahme und schreibt ein paar Zeilen über den Studenten.
Oratro: Das ist für den Studenten auch eine Referenz.
Rühm: Dieser Schein müßte einheitlich sein und vorgedruckt.
Rosei: Grundsätzlich haben wir heute zwei Dinge entschieden:
1. Die Entwicklung der SfD zu einer Akademie.
2. Die Personenbezogenheit
Die anderen Punkte, z.B. die Besprechung des Lehrplans, verschieben
wir auf die nächste Sitzung.
Hintze: Wie sinnvoll ist es, Lehrstühle einzuführen? Einen
Lehrstuhl für Prosa, einen für Lyrik, einen für Performance,
einen für Drama?
Rühm: Davon halte ich nichts.
Rosei: Ich auch nicht, da sind wir uns einig.
Hintze: Die Literatur war ja lange Zeit Stimulans für die Entwicklung
von Nationalsprachen, von nationaler Identität. Man könnte
daher auch sagen, eine Literatur-Akademie sollte, wie in Leipzig zum
Beispiel eine Akademie ausschließlich der deutschen Sprache sein.
Vor dem aktuellen politischen Hintergrund, gerade Europas, aber denke
ich, daß wir so, wie wir begonnen haben, auch weiterarbeiten sollten:
mehrsprachig, mehrere Kulturen berücksichtigend.
Rühm: Ja, da bin ich dafür.
Hintze: Und daß wir eine Inger Christensen, einen Jack Collom,
einen Allen Ginsberg, eine Anne Waldman in eines unserer Gremien holen?
Rühm: Das ist schwierig, wird nicht praktikabel sein.
Rühm: Nun zur Rechtschreibung. Ich würde nicht mitmachen,
wenn bei euren Publikationen weiterhin dieses grauenhafte großgeschriebene
I vorkommt. "StudentInnen, LehrerInnen". Das ist eine Verhunzung
der deutschen Sprache und überdies wie es gemeint ist nicht sprechbar.
Ich bin ja sowieso ein Vertreter der konsequenten Kleinschreibung. Ich
bin für Studenten/Studentinnen. Deutsch ist die einzige Sprache
der Welt mit Großbuchstaben bei Hauptwörtern.
Oratro: Wir können die Kleinschreibung ja fürs Programmheft
übernehmen.
Hintze: (zu Rühm) Schreibst Du uns ein Pamphlet dafür?
Rühm: Ich bin überzeugt, daß irgendwann die Kleinschreibung
kommt. Trotzdem muß man wissen, was traditionell großgeschrieben
würde. Die Großbuchstaben sind Fremdkörper und erst
seit etwa dem 18. Jahrhundert geregelt in Gebrauch.
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Ende der Sitzung: ca. 18 Uhr.
Nächste Sitzung: nach der Frankfurter Buchmesse, um den 11. Oktober.
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