schule für dichtung
 
      akademie für sprachkunst
 
statements

von sämtlichen teilnehmern durchgelesene, korrigierte und autorisierte fassung


christian ide hintze

der sogenannte "bologna-prozess", dessen ziel die schaffung eines gemeinsamen europäischen hochschulraumes ist, hat zu einer grundsätzlichen diskussion über die aufgaben, funktionen und strukturen von universitäten geführt.
dieser vorgang der neuformatierung wäre ein guter anlass, ein jahrhundertealtes manko der europäischen kultur- und geistesgeschichte endlich zu beheben: das beinahe völlige fehlen universitärer traditionen und einrichtungen für die lehre der sprachlichen künste.


robert schindel

eine "akademie für sprachkunst" ist auch im zusammenhang mit einer globalisierten und immer neoliberaleren welt zu sehen, in der sich immer stärker die frage in den vordergrund stellt, ob sich etwas rechnet. ich möchte an den ausdruck des großen spanischen lyrikers machado erinnern: „poesia es necesaria como pan“. – "die poesie ist so notwendig wie das brot". das gilt auch für die kunst im allgemeinen, aber hier sind wir bei der sprache und bei der poesie. und die sprache ist das einzige ding, das den menschen von anderen lebewesen unterscheidet, die benennende sprache nämlich, die namengebende sprache, und die möglichkeit, sein eigenes erdendasein sprachlich zu reflektieren. das gleiche instrument zu verwenden, mit dem man um ein brot bittet oder eine welt in einem gedicht herstellt. dieses zu verfeinern und dieses besser nutzen zu lernen in richtung einer literarischen sprache, ist sicherlich ein weg zur zivilisierung und artifizierung des menschen. daher ist es von der allgemeinen grundlage her durchaus notwendig, dass eine akademie für sprachkunst entsteht.


gert jonke

es gibt akademien für bildende kunst. und vielleicht hat auch das dazu geführt, dass in unserem - nicht nur - alltagsleben immer intensiver „verbildet“ wird und nicht „versprachlicht“.
es ist völlig selbstverständlich geworden, dass wir, um von etwas zu wissen, ein bild davon haben. wenn wir etwas nicht wissen, müssen wir es uns zuerst „einbilden“.
genauso ist es in der sprache. wenn wir das wort „baum“ nicht kennen, gibt es für uns keinen baum. dann ist der baum bestenfalls ein recht kurioses gestänge mit merkwürdigen verstrebungen, an dem sie bestenfalls ihre wäsche oder sich selbst - oder wir uns - aufhängen können, aber wir wissen nichts vom wald und nichts vom rauschen des waldes.

das hat zur folge, dass man sowohl in der bildenden kunst als auch in der sprachkunst immer mehr erfindungen machen kann. die sprache befähigt uns, immer wieder etwas neues zu sagen, was man noch nicht gehört hat, befähigt uns somit, zu erfindern zu werden.
leider droht die sprache leicht ins hintertreffen zu geraten. und sprachverlust ist auch gleich gefühlsverlust und empfindungsverlust. und es gibt auch bei gefühlen so etwas wie gescheitheit und blödheit. die gefühle, die verblöden, sind nicht mehr hervorzuholen, sondern sind verloren. ein intellekt, der verblödet, ein gehirn, das verblödet, ein verstand, der verblödet, ist zu heilen. ein gefühl, das verblödet, ist endgültig verblödet. das ist etwas ganz schlimmes, diese gefühlsverblödung. die intelligenz der allgemeinen empfindung droht verloren zu gehen.
und weil wir doch insgesamt vielleicht auch spracherfinder bleiben wollen, weil wir doch hin und wieder etwas, was noch nicht bekannt ist, hören und wissen wollen, muss als ausgleich zu den bestehenden akademien der bildenden kunst auch eine akademie für sprachkunst gegründet werden. das wäre sehr dringend.


marianne gruber

das mit den gefühlen gefällt mir ungeheuer gut, weil es einen einwand anspricht, den ich, nicht nur in letzter zeit, immer wieder gehört habe und zwar, dass mit einer professionalisierung eine verbürokratisierung und vertechnisierung der sprache einhergeht.
aber genau das gegenteil wäre der fall in einer gesellschaft, in der normen, die sich in zahlen und statistiken ausdrücken, eine bedeutsame rolle spielen und entscheidungsgrundlage für alle möglichen entscheidungen sind. man braucht nur an die universitätsreform zu denken und an die vorgaben die für die evaluierungen plötzlich vorgeschlagen werden. ich bin allerdings der ansicht, dass qualität eigentlich nicht evaluiert werden kann, sondern nur mengen und zahlen.

das wäre die hohe schule, eine akademie für sprachkunst, wo sich professionalität mit liebe, mit freiheit, mit einer großen vielfalt paaren kann, ohne dass die zahl und die normierung eine rolle spielt. selbstverständlich wird man lehrpläne brauchen. aber diese lehrpläne würden die buntheit und die vielfalt bekunden können.


orhan kipcak

was den institutionellen rahmen der gründung einer akademie angeht, so sehe ich ein gutes fenster für möglichkeiten. wie sie wissen, setzen sich alle europäischen hochschulen und universitäten im rahmen des sogenannten bologna-prozesses dafür ein, ihre curricula so umzustrukturieren, dass sie zueinander kompatibel werden.
das heißt, dass wir einer englischen, amerikanischen form von studium gegenüberstehen werden. es wird bachelors geben, masters. das zwingt alle ausbildungseinrichtungen dazu, ihre gesamte struktur zu überdenken.
es ist ein informativer prozess, der da im laufen ist. es wäre eine gute gelegenheit, die schule für dichtung an eine universität in irgendeiner form anzubinden oder vielleicht in einer assoziation zu einer einrichtung zu institutionalisieren. diese möglichkeit wahrzunehmen, ist jetzt die absicht von uns allen.



 

statements
procedere
historie
protokoll 1. kuratoriumssitzung
materialienbände
literaturhinweise
 
procedere

die anwesenden (pressegespräch, 8. juni 2005) marianne gruber, ide hintze, gert jonke, orhan kipcak und robert schindel schlagen folgende vorgangsweise vor:
  1. kontaktaufnahme mit allen bisher an der diskussion beteiligten personen
  2. werbung um unterstützung bei vertretern / vertreterinnen aus den bereichen politik und universitäten
  3. bildung eines proponentenkomitees. diesem sollten angehören:
    - autoren und autorinnen, die bereit sind, über ihre künstlerische arbeit hinaus auch konzeptuelle und kulturpolitische aufgaben zu übernehmen
    - vertreter / vertreterinnen von institutionen mit literarischen lehr- und studienprogrammen
    - vertreter / vertreterinnen möglicher universitärer partner
    - ressortmäßig zuständige vertreter und vertreterinnen der öffenlichen hand
  4. schaffung einer rechtlichen grundlage für dieses gremium (z.b. gemeinnütziger verein für die gründung und den aufbau einer akademie für sprachkunst), formulierung der statuten, genaue formulierung der ziele und der vorgangsweisen, erstellung eines finanzierungskonzepts, wahl eines vorstands, etc.
  5. ansuchen um finanzielle förderung durch die öffentliche hand.
    mindestlaufzeit: 4 jahre
  6. bestellung einer projektleiterin / eines projektleiters (z.b. via internationale ausschreibung)
  7. beauftragung von studien: bedarfserhebung, evaluation der arbeiten österreichischer institutionen (z.b. schule für dichtung, alte schmiede, klagenfurter literaturkurs), evaluation der arbeiten vergleichbarer ausländischer projekte (z.b. deutsches literaturinstitut leipzig, literaturinstitut biel, literaturakademie prag, london poetry school). mögliche studienverfasser sollten über kenntnisse in den bereichen literatur / verwaltung / struktur / organisation verfügen.
  8. erstellung eines studienplans. federführend hiebei: die projektleiterin / der projektleiter
  9. im falle einer implantierung in den organisatorischen und rechtlichen rahmen einer bereits bestehenden universität: auflösung des vereins, übernahme des projekts durch die betreffende universität
    die gründung einer eigenen universität müsste von einem starken politischen und universitären lobbying getragen sein und ist eher unwahrscheinlich.
  10. die organisation der oben genannten abläufe wird bis zur gründung, rechtlichen und finanziellen absicherung des gremiums von der schule für dichtung durchgeführt.
anhang

 

nach oben
 
schule für dichtung (sfd):
historie, universitär


1992, april: gründungsveranstaltung der sfd. die lehrveranstaltungen der folgenden jahre werden in kooperation mit der hochschule für angewandte kunst in wien organisiert, u.a. mit artmann, bauer, rühm, ginsberg, waldman, falco, cave, streeruwitz, jonke, schindel.

1993: h.c. artmann, wolfgang bauer, peter rosei, gerhard rühm, kurt neumann, marianne gruber, ferdinand schmatz und ide hintze diskutieren als mitglieder des sogenannten "kuratoriums" pro und contra einer möglichen weiterentwicklung bzw. übersetzung der sfd-programme in universitäre strukturen.

1994: das gremium beendet - mangels organisatorischer und finanzieller perspektiven - seine arbeit.

1998, märz: das ministerium für wissenschaft und forschung des landes nordrhein-westfalen organisiert auf initiative von herrn dr. eugen gerritz, der die gründung einer literaturakademie in düsseldorf angeregt hat, das internationale symposion "studienziel: dichter. ist literarisches schreiben lehrbar?" und lädt die sfd gemeinsam mit experten aus moskau, leipzig, berlin, amsterdam ein, sich mit vorschlägen und referaten zu beteiligen. die diskussionen finden im düsseldorfer landesparlament statt. ergebnis: ein buch mit ausgewählten beiträgen zum thema. (die geplante akademie ist nicht realisiert worden, stand 2005)

1998, oktober: prof. dr. carl pruscha, rektor der akademie der bildenden künste in wien nimmt die fortdauernde positive zusammenarbeit zwischen sfd und akademie zum anlass, sich für eine universitäre perspektive der sfd zu engagieren. er ist der ansicht, das aufgabengebiet einer akademie für sprachkunst sei zu groß, um bloß als institut im rahmen einer der bestehenden kunstakademien institutionalisiert zu werden. pruscha, der der ansicht ist, die sfd müsse eine entsprechende raumvorstellung phantasieren, schlägt das seit jahrzehnten leerstehende schloss neugebäude vor und organisiert eine begehung, an der - unter der fachkundigen leitung des stadtarchäologen herrn senatsrat dozent dr. hartl - vertreter der lehrer- und studentenschaft der sfd teilnehmen.

1999: gründung der virtuellen akademie: entwicklung von digitalen lehr- und lernprogrammen, internetklassen, online-vorlesungen und - diskussionsforen (entwurf, design, linkssysteme: orhan kipcak, ide hintze). h.c. artmann leitet im oktober die erste internetklasse: "übungen zur montagetechnik", artmanns 2te internetklasse im herbst 2000 lautet: "asterix und obelix ins wienerische übersetzen". weitere lehrer/lehrerinnen: anne tardos (usa), marlene streeruwitz, curd duca, rosa pock-artmann, sabine scholl, andrea fehringer, günther selichar, peter vieweger, johann skocek, bernhard widder, stermann/grissemann, roland neuwirth, orhan kipcak, renée gadsden, gertraud marinelli-könig, jürgen berlakovich (alle aut), ayu utami (indonesien), waris dirie (somalia), henri chopin (fra) u.a.

1999, september: nachdem das schloss neugebäude von allen beteiligten als nicht geeignet, weil zu baufällig, beurteilt worden ist, kommt es zu einer neuerlichen begehung: palais rasumofsky im 3. wiener gemeindebezirk. das objekt befindet sich im besitz des bundes. die z.z. dort ansässige geologische bundesanstalt wird demnächst ausziehen und in ein neues objekt übersiedeln. an der begehung nehmen vertreter des bundes, der stadt wien, der bildenden, der sfd und verwandter wiener literaturorganisationen teil. das objekt wird als geradezu ideal eingestuft, nutzungspläne, kostenpläne werden erstellt.

2001, sommer: boris groys (ger), der neue rektor der akademie der bildenden künste, bietet der sfd eine langfristige kooperation an. ziel: gemeinsamer aufbau einer im europäischen kontext arbeitenden "virtuellen akademie" im schnittfeld zwischen sprachkunst und bildender kunst. eine arbeitsgruppe bestehend aus vertretern beider institutionen sowie beratern aus den bereichen e-learning und webdesign wird eingesetzt, um fragen der programmierung, finanzierung, organisation, evaluation und nachhaltigkeit zu diskutieren.

2001, oktober-dezember: die "virtuelle akademie 2001" wird gemeinsam mit der akademie der bildenden künste organisiert und via vorlesungsverzeichnis als übung angeboten. die studierenden haben erstmals die möglichkeit, zeugnisse für die teilnahme an den übungen der internetklassen zu erwerben.

2001, dezember: die akademische kooperation/perspektive endet mit dem abgang von boris groys als rektor der akademie der bildenden künste.

2002: nach 2 weiteren begehungen des palais rasumofsky werden die bestehenden kosten- und nutzungspläne verfeinert und durch ein arbeitskonzept ergänzt.

2002, sommer: auf vorschlag des wissenschaftsministeriums nordrhein-westfalen und des literaturrats beruft die folkwang hochschule (essen, ger) ide hintze in die expertenkommission "lehrstuhl text". ziel: diskussion und ausarbeitung der rahmenbedingungen/eines curriculums zur gründung eines eigenen lehrstuhls "text" an der folkwang hochschule. (das projekt ist nicht realisiert worden, stand: 2005)

2002, november/dezember: anlässlich der veranstaltungsreihe "10 jahre schule für dichtung" (mit nick cave, waris dirie, yoko ono, gerhard rühm, friederike mayröcker, wolfgang bauer u.a.) bekunden vertreter aus kunst, wissenschaft und politik ihre grundsätzliche unterstützung für die universitäre perspektive.

2003, februar: vorläufiges, beratendes gremium akademie für sprachkunst: mitglieder u.a.: gert jonke, robert schindel, marlene streeruwitz, univ. ass. mag. dr. renée gadsden (universität f. angewandte kunst, inst. für kultur- und geistesgeschichte), christian ide hintze (sfd), prof. orhan kipcak (joanneum graz, fachhochschule für mediendesign; adm – atelier für digitale medien), dr. gertraud marinelli-könig (akademie der wissenschaften), dr. kurt neumann (literarisches quartier - alte schmiede), mag. barbara ruhsmann (germanistin, diplomarbeit zum thema), univ. prof. dr. wendelin schmidt-dengler (universität wien, institut für germanistik; österr. literaturarchiv), univ. prof. dr. manfred wagner (universität f. angewandte kunst, inst. für kultur- und geistesgeschichte)

2003: das palais rasumofsky wird vom bund an private verkauft.

2005, märz: internationaler kongress für literarisches schreiben, leipzig. veranstaltet vom deutschen literaturinstitut leipzig/universität leipzig in zusammenarbeit mit der schule für dichtung - vienna poetry school, dem studiengang litterär gestaltning/universität göteborg und der autorenakademie - literárni akademie/prag. ca. 40 verschiedene z.t. universitäre projekte aus europa, usa, und asien werden vorgestellt und im plenum diskutiert. im mittelpunkt der diskussionen stehen: curricula, mehrsprachigkeit, multimedia, vereinheitlichung/kompatibilität der studienpläne innerhalb der eu ("bologna-kriterien").

2005, juni: ein proponentenkomitee (robert schindel, gert jonke, orhan kipcak, marianne gruber, ide hintze) stellt im rahmen einer pressekonferenz im wiener café ritter das sogenannte "procedere" vor: eine liste von vorschlägen, die den weg zur gründung einer "akademie für sprachkunst" beschreiben. diese vorschlagsliste wird in der folge von zahlreichen kolleginnen und kollegen unterstützt und bildet die grundlage für die im herbst 2005 geplante gründungsversammlung.

 


nach oben
 
Protokoll 1. Kuratoriumssitzung

von sämtlichen teilnehmern durchgelesene, korrigierte und autorisierte fassung

Datum: 2. Juni 93, 14.30 Uhr

Ort: Café Prückl, Ecke Luegerplatz/Ring, 1010 WIEN, Biberstraße

Mitglieder: H.C. Artmann, Wolfgang Bauer, Marianne Gruber, Christian Ide Hintze, Kurt Neumann, Peter Rosei, Gerhard Rühm, Ferdinand Schmatz
Anwesend: Marianne Gruber (15.30 bis 18 Uhr),
Christian Ide Hintze (14 Uhr 30 bis 18 Uhr),
Kurt Neumann (14 Uhr 30 bis 17.00),
Peter Rosei (14 Uhr 30 bis 18 Uhr),
Gerhard Rühm (14 Uhr 30 bis 18 Uhr),
Ferdinand Schmatz (14 Uhr 30 bis 17 Uhr),
Schule für Dichtung: Sonja Orator, Nathalie Prasser, Sabine Schuster.(alle von 14 Uhr 30 bis 18 Uhr)

Entschuldigt: H. C. Artmann, Wolfgang Bauer

Protokollführerin: Nathalie Prasser

Hintze:
- (begrüßt die Anwesenden)
- Artmann mußte in Salzburg bleiben, Bauer in der Steiermark; beide unterstützen die Idee, die SfD organisatorisch in eine Akademie weiterzuentwickeln; beide sind bereit, als Lehrer auch dann zur Verfügung zu stehen, wenn ein Ganzjahresbetrieb eingerichtet wird;
- (schildert den Werdegang des Projekts von den ersten Sappho-Studien auf der Insel Lesbos, über das Studium der Kerouac School, bis hin zur Gründung der SfD und das internationale Symposion "Über die Lehr- und Lernbarkeit von Literatur" im April 92; berichtet vom Abschluß einer Vereinbarung mit dem Passagen Verlag; Gründung einer EDITION SCHULE FÜR DICHTUNG IN WIEN; fordert die Anwesenden auf, Herausgeberschaften für Bücher zu übernehmen, die zum Themenkomplex "Literaturschule" gehören; die Publikationsmöglichkeit sollte genützt werden);
- wir sind rascher als erwartet, von der Theorie zur Praxis und von der Praxis zu den konkreten Organisationsfragen gelangt; es ist keineswegs zu früh, bereits jetzt die Organisation einer Jahres-Akademie zu besprechen
- zum historischen Bogen: Zitat Nietzsche:
"Wer (...) sich ernstlich zum Redner ausbilden wollte, oder wer in eine Schule des Schriftstellers zu gehen beabsichtigte, er fände nirgends Meister und Schule; man scheint hier noch nicht daran gedacht zu haben, daß Reden und Schreiben Künste sind, die nicht ohne sorgsame Anleitung und die mühevollsten Lehrjahre erworben werden können."
- die Bezeichnung "Kuratorium" ist vorläufig; wir sollten auch darüber sprechen, in welcher Beziehung dieses Kuratorium zur SfD stehen soll.
Rosei: Die Frage der Lehr- und Lernbarkeit von Literatur kommt ja weltanschaulich von ganz wo anders herzukommen als wir. (lacht)
Hintze: Inwieweit läßt sich das, was sich nicht institutionalisieren läßt, doch institutionalisieren Widerspruch: Literatur subversiv gegen Institutionalisierung - Institution einer Akademie
Rühm: Subversivität hängt nicht von der Organisationsform ab, sondern von den Lehrern.
Hintze: Rosei hat in seinem Eröffnungsreferat (April-Akademie 93) eine zukünftige Akademie entworfen (Der Text wurde an alle Teilnehmer verschickt).
Rühm: Ich hab das Einleitungsreferat vom Rosei gelesen.
Rosei: Die Frage ist: Laßt man die SfD so wie sie ist und versucht dazu parallel ein zweites, von Anfang an institutionalisiertes Projekt?
Rühm: Der Lehrplan hängt wesentlich von den Leuten ab, die man einlädt, so wie an Kunsthochschulen.
Schmatz: Das muß auch so beibehalten werden.
Rühm: In Hamburg, wo ich ja unterrichte (Kunsthochschule), gibt es 2 verpflichtende Grundsemester. Während dieser Einfürhungs-Orientierungssemester haben die Studenten die Möglichkeit, sich die einzelnen Klassen anzuschauen. Die Studenten sind danach aber nicht in eine bestimmte Klasse förmlich eingeschrieben.
Schmatz: Das ist in der Angewandten nicht der Fall und das ist auch ein großes Problem.
Rühm: Am Schillerplatz auch nicht. Die Lehrer der einzelnen Klassen sind dort ja böse, wenn ein Student die Lehrer wechselt.
- Man muß überlegen, inwieweit man die Studenten auf nur einen Lehrer festlegt.
- Bei kurzfristigen Kursen muß man die Studenten festlegen, aber nicht bei längerfristigen Klassen.
- Der Nachteil des Modells, bei dem ein Student parallel mehrere Lehrer hat, ist, daß manche Studenten verunsichert werden, wenn ihnen jeder Lehrer etwas anderes sagt.
- Falls die SfD einen Ganzjahresbetrieb plant, müßte man fragen: Gibt es Semester?, Wieviele Semester wird es geben?
Schmatz: Das war ja auch die Frage vom Rosei. Soll die SfD in eine Akademie der Dichtung gehoben werden?
Hintze: Wir haben die SfD zunächst einmal als ein Forum geschaffen, einen Ort, an dem Erfahrungen gesammelt, Utopien entwickelt werden können: inhaltliche, formale, organisatorische. Die Kerouac School ist ähnlich vorgegangen: Zuerst einmal pro Jahr Sommerakademien, dann Ganzjahresbtrieb, schließlich ordentliches Universitätsinstitut mit staatlicher Anerkennung und Förderung.
Neumann: Akademie ist kein staatlich geschützter Begriff.
Rühm: In Hamburg im Studienfach FREIE KUNST gibt es zweierlei Studenten: Kunst-Pädagogikstudenten und freie Kunststudenten.
Für die Kunststudenten gibt es drei Noten: Durchgefallen, Durchgekommen, Mit Auszeichnung bestanden.
- Die Benotung ist auf Druck der Studenten eingeführt worden. Die Behörde hat daraufhin Prüfungen verlangt. Der Student stellt Arbeiten des letzten Jahres aus und muß diese kommentieren. Diese Prüfungen werden von der Behörde anerkannt.
Schmatz: Ist das dem Diplom gleichzustellen?
Rühm: Ja.
Schmatz: Das ist mir für die SfD unvorstellbar.
Rühm: Ich red ja nur von den freien Kunststudenten.
- Bei den Kunst-Pädagogikstudenten gibt es 2 Richtungen. Je nachdem, wo sie unterrichten wollen. Die Pädagogikstudenten müssen umfangreichere Prüfungen ablegen.
Hintze: Können das so Arbeiten sein, wie Rosei sie in seinem Text beschrieben hat?
Rühm: Ja. Im Falle einer Institutionalisierung besteht die Chance, daß zukünftige Deutschlehrer bei uns studieren können.
Rosei: Der Minister erwartet sich ja eine Erweiterung in Richtung Journalismus, Werbung, etc.
Schmatz: Das muß sich erst entwickeln.
Rosei: In der derzeitigen Phase bin ich für Personenbezogenes. Die jeweiligen Lehrer entscheiden über die Inhalte.
Neumann: Ich bin dagegen, an einer SfD Jounalismus zu unterrichten. Man muß doch der Publizistik nicht auch noch etwas abnehmen.
Rosei: Wir konzentrieren uns auf das, was Kunst bedeutet.
Schmatz: Unter Schreibkunst fällt das eine wie das andere.
Schuster: Der Minister redet so, weil er nicht noch mehr Arbeitslose ausgebildet sehen möchte.
Rühm: Keine Kunsthochschule kann das.
Schmatz: Kommen wir auf den Punkt zurück: Erweiterung oder nicht. Es ist wichtig, Satelliten zu setzen, aber der Kern muß die Dichtung sein.
Rühm: Schreibkunst ist mir zu eng. Ich finde nach wie vor den Titel "Schule für Dichtung" sehr gut.
Schmatz: Ich bin nicht sehr glücklich damit.
Rosei: Poesie, Akademie der Poesie.
Rühm: Das ist nur ein Fremdwort für Dichtung.
Hintze: zur weiteren Entwicklung: da es keine gesetzliche Grundlage für die Gründung von privaten Universitäten gibt, wird unser Finanzpartner notgedrungen, und ideologisch auch besser vertretbar, die Öffentliche Hand sein.
- 1995/96 wäre ein Datum, das wir im Auge haben sollten. Milleniumsfeiern bzw. 50 Jahre nach 1945. Die Öffentliche Hand ist bereit, repräsentative Projekte bzw. Pionierprojekte großzügig zu fördern. Man sollte an "Neue Österreichische Gründerzeit" appellieren. Wir könnten zweierlei erreichen:
- entweder die Einrichtung und Finanzierung eines Ganzjahresbetriebs
- oder den Ankauf/ die Anmietung eines eigenen Gebäudes.
Bis dahin sollten wir wissen, was wir wollen:
- Variante 1: auf der Basis eines unabhängigen Künstlerprojekts einen neuen Typus von Universität; zuständig Scholten
- Variante 2: ordentliches Universitätsinstituts; zuständig Busek
- Variante 3: Mischform aus 1 und 2; zuständig interministerielle Kommission
Schmatz: Wir sollten die Scholtenrichtung anstreben.
Neumann: Ich würde pragmatischer vorgehen. Ich würde von dem ausgehen, was die SfD bisher schon erreicht hat und dazu einige Linien aus dem Programm der Alten Schmiede hineinverweben, die Wiener Vorlesungen. Dazu einige Fäden aus der Arbeit von Marianne Gruber und der Österreichischen Gesellschaft für Literatur. Außerdem: Was paßt vom Oberhuber dazu?
Man könnte mit einer Art Programmkoordination beginnen. Ich habe einen gewissen Überblick über 1994, daraus könnte man ein koordiniertes Jahresprogramm erstellen.
Mit diesem Modell könnte man dann die verschiedenen Minister ansprechen.
Rosei: Du brauchst auf jeden Fall eine Art fixes Kollegium, das die Leute einlädt.
Oratro: So in etwa haben wir uns das auch vorgestellt.
Wir erstellen einen Drei-Jahres-Plan mit Stamm- und Gastlehrern. Über die Zusammensetzungen entscheiden die Programm-Macher bzw. das Kuratorium. Dieser Plan wird dem Minister zur Finanzierung vorgelegt.
Ich kann mir einen Jahresbetrieb schon vorstellen, aber nicht daß wir die jetzigen Blöcke einfach auf ein Jahr ausdehnen. 2 mal 10 Lehrer, dazu 1 mal 4 Lehrer auf dem Land. Das ergäbe 24 Klassen. Wir müßten einen neuen Ansatz finden.
Rühm: Es ist eben ein Unterschied, ob es sich um etwas Kurzfristiges oder um etwas Längerfristiges handelt. Kurze Klassen wie jetzt haben andere Inhalte und engere Entwicklungsmöglichkeiten als Klassen, die sich über Semester hinziehen.
Prasser: Für unsere Entscheidung sollte nicht die Beziehung zu dem jeweiligen Minister ausschlaggebend sein, sondern die Form des Projektes selbst. Ich bin für das Modell des autonomen Künstlerprojekts, einen neuen Typ von Universität.
Schmatz: Wie der Kurt schon gesagt hat: wir sollten die erwähnten Schritte machen, zunächst also in Richtung Scholten. Wie es dann weiter geht, wird man ja sehen.
Neumann: Ich glaube, es wird letztlich eher die Mischform werden.
Rosei: Die Frage, wer für uns zuständig ist, ist nicht so wichtig. Die Formen und Inhalte unseres Projekts werden dann schon die Zuständigkeiten zeigen.
Schmatz: Aber der Hintze muß doch verhandeln mit dem Zuständigen. Es muß einen zuständigen Minister geben. Man kann nicht ohne konkreten Finanzierungspartner arbeiten. Wenn wir uns auf universitären Boden begeben, übernimmt die Bezahlung der Lehrer der Bund. Da entstehen Abhängigkeiten.
Oratro: Es gibt Pragmatisierte und Gastprofessoren. Für Kunsthochschulen sind Pragmatisierte das Todesurteil.
Rühm: In Hamburg gibt es Gastprofessoren, beamtete Professoren und Lehrbeauftragte.
Rosei: Wir bleiben autonom und der Bund gibt uns das Geld. (lacht)
Schmatz: Genau das ist es.
Gruber: Wir diskutieren seit Jahren über die Abschaffung von Noten und Beamten. Es wäre nicht gut, wenn ausgerechnet wir jetzt wieder damit anfangen. Wir sollten uns das gar nicht erst einführen. Ich würde mich an keine der vorhandenen Formen anlehnen. Ich würde das Neue versuchen.
Schmatz: Dann kommt vielleicht sowas wie bei der Verlagsförderung, daß man jährlich neu über eine Förderung entscheidet. Man muß das Projekt gesetzlich absichern.
Oratro: Es gibt jetzt seit kurzem dieses Konzept der Fachhochschulen. Fachhochschulen müssen nicht staatlich betrieben werden. Fachhochschulen können auch von Vereinen GesmbH´s und dergleichen betrieben werden.
Neumann: Wer ist für Fachhochschulen zuständig?
Oratro: Das Wissenschaftsministerium.
Rühm: Ich hab eine Aversion gegen den Begriff der Fachhochschule.
Schmatz: Wer interessiert sich denn für die Dichter? Sicher nicht die Wirtschaft.
Hintze: Oberhuber, als Rektor der Angewandten, hat SfD von Anfang an unterstützt, weil er sich davon auch Impulse erwartet hat. An den bestehenden Kunsthochschulen passiert ja auch viel Scheiße.
Künstlerprojekte oder auch Projekte wie das Literaturhaus müssen ihre Budgets von Jahr zu Jahr neu einreichen. Ein langfristig gesichertes Budget haben eigentlich nur die Salzburger Festspiele. Ich habe dem Scholten versucht zu erklären, daß eine Schule für Dichtung, egal in welcher Organisationsform, auf die Dauer natürlich nicht von Jahr zu Jahr arbeiten kann. Der Gedanke einer Literaturakademie ist neu, also sollten sich die Finanziers auch neue Modelle überlegen, oder zumindest gesprächsbereit dafür sein. Ich habe ihm erklärt, daß wir mindestens Drei-Jahres-Verträge machen können sollten. Scholten wäre bereit, sich für eine Drei-Jahres-Finanzierung einzusetzen.
Neumann: Dann sind wir wieder bei den berühmten Fünf-Jahres-Plänen.
Gruber: Lieber ein Risiko eingehen, als unter fremde Flügel schlupfen. Wichtiger wäre es, ein Netz aufzubauen. Ein Netz von Arbeits-, Kommunikations- und Publikationsmöglichkeiten. Eine Zusicherung für die Publizierung von Studententexten in diversen Literaturzeitschriften wäre denkbar: Lichtungen, Manuskripte, Protokolle, Limes, etc.
Oratro: Die Erstellung eines Lehrplans wäre wichtig; die Einrichtung von Basissemestern.
Schmatz:Aber eine Einführung zum Beispiel in die Verslehre ist langweilig.
Prasser: Bei unseren Lehrerkonferenzen haben sich einige über die Unkenntnis ihrer Studenten beschwert und etwas wie einen Grundkurs gefordet.
Schmatz: Und wer unterrichtet das?
Oratro: Man könnte soetwas im Grundsemester unterrichten
Gruber: Ich würde unter Grundsemester etwas anderes verstehen. Bei der Juli-Akademie sind mir 2/3 der Teilnehmer bereits bekannt. Ich kann nicht nocheinmal das selbe erzählen wie bei der September-Akademie. Nur wer bereits im 1. Kurs war, sollte den 2. besuchen dürfen.
Schmatz: Was aber heißt, das der Rühm 2 Kurse machen sollte.
Oratro: Es sollten immer wieder Einführungskurse der jeweiligen Lehrer stattfinden. Einführungsklassen, bei denen sich gewisse Grundinformationen wiederholen.
Schuster: Das wäre im Ganzjahresbetrieb möglich. In anderen Literaturschulen wird das tatsächlich so gehandhabt. Gorki-Institut, Johannes R. Becher Institut.
Rühm: Es ist wichtig, wer diese Einführungen macht, ob das der Reich-Ranicki oder unsereiner macht.
Neumann: Das Kollegium legt fest, was man als Grundlage braucht.
Rühm: Das ist aber schon wieder schwierig zu sagen.
Gruber: Eine Leseliste der wichtigsten Autoren.
Rühm: Wer bestimmt die? Zuviele Namen verwirren auch nur.
Schmatz: Man sollte ein Aufnahmegespräch führen.
Rühm: Das ist viel zu kompliziert.
Hintze: Wir sollten uns bemühen, die Diversität, die Pluralität zu organisieren. Wenn der Lehrer A Aufnahmegespräche haben will und einen Grundkurs, dann organisieren wir das eben. Wenn der Lehrer B das anders haben will, dann organisieren wir das auch. Möglichst wenig über einen Leisten scheren, wäre wichtig.
Schmatz: Was macht man mit denen, die übrig bleiben?
Rühm: 3 Professoren, 3 Assistenten, 3 Studenten bilden ein Gremium, welches entscheidet, wer aufgenommen wird, wobei die studenten nur beratende Stimme haben.
Oratro: Die Leute bekommen Depressionen wegen dieser Auswahlkriterien.
Rosei: Pro Semester hält jeder Lehrer eine Vorlesung zum Thema seiner Wahl.
Rühm: Ich mache ja viele Sachen in Hamburg, die ich nicht machen müßte, die nicht im Lehrplan vorgesehen sind.. Es kommt auf die Leute in meiner Klasse und die jeweiligen Interessenschwerpunkte an. So habe ich z. B. 2 Semester kein Aktzeichnen unterrichtet, jetzt gibt es wieder Aktzeichnen.
Oratro: Was sind die Fixpunkte?
Rühm: Ich leite eine Klasse für freie Grafik und künstlerische Grenzbereiche. Bei einem dreiwöchigen Kurs sollte man nur ein Thema angehen. Je kürzer die Veranstaltung (Kurszeit), umso genauer sollte man das Thema festlegen. Je länger, umso weniger genau muß man sich festlegen.
Gruber: Ein Teil derer, die sich für meine Juli-Klasse angemeldet hat, hat sich extra für diese 2 Wochen Zeit genommen. Ich weiß nicht, ob die auch kommen würden, wenn sie ein ganzes Jahr bleiben müßten.
Rühm: Das betrifft aber auch die Lehrenden. Ein Gastprofessor kommt während des Gastsemesters oft nur 2 mal für eine knappe Woche.
Schmatz: Gastvorträge sind ganz wichtig.
Hintze: Es ist ja auch die Frage: Sind die Momente der Inspiration eher in kurzen oder in langandauernden, sich wiederholenden Begegnungen möglich?
Rosei: Aufbauen ist ein schlechter Begriff. Aufbauende Klassen sind nichts für Dichter.
Oratro: Ich meine damit fortführend.
Hintze: Wenn wir nun versuchen, eine Drei-Jahres-Finanzierung zu erreichen: Wie sieht das konkret für euch aus? (zu Rühm) Hättest du in den kommenden drei Jahren überhaupt Zeit?
Rühm: Ab 96 schaut das gut aus, bis dahin schaut's schlecht aus.
Hintze: 2 mal pro Jahr für je eine Woche?
Rühm: Im Mai und Oktober/November haben wir Prüfungen. Im September bin ich auf Urlaub. Der April wäre ein guter Monat.
Hintze: Wir planen ja auch einige sozusagen dislozierte Projekte: in Neuberg / Mürzzuschlag mit der Walter Buchebner Gesellschaft; in Alma Ata mit der dortigen Fremdsprachen-Universität.
Rühm: Da müssen wir etwas über Trotzki machen.
Hintze: Wer sollte eurer Meinung nach dem Kuratorium angehören? Fürs erste, habe ich gedacht, sollten nur Dichter und Dichterinnen dabeisein. Eben so wie heute. Für später sollten wir weitere taktische Überlegungen berücksichtigen.
Schmatz: Ich würde das relativ locker halten, wir nehmen jemanden dazu und lassen ihn auch wieder weg.
Rosei: Ich würde niemanden reinnehmen, den wir nicht reinnehmen müssen. Aber ich hatte von Anfang an den Ernst Jandl im Vorschlag drin
Hintze: Oberhuber? Er ist immerhin unser Gastgeber und versteht, als Praktiker, einiges von den Zusammenhängen Künstlerindividuum - Künstlerakademie.
Schmatz: Bringt das was?
Hintze: Mayröcker und Jandl? Ich möchte unbedingt, daß wir uns gemeinsam entschließen, sie einzuladen.
Schmatz: Wenn man die beiden einbezieht, müßte man es Gesellschaft für Dichtung nennen.
Hintze: Eine gewisse Zurückhaltung unserem Projekt gegenüber ist sicherlich festzustellen.
Neumann: Das hat damit zu tun, daß Jandl an einem konkurrierenden Projekt arbeitet. Er möchte ja die Friedgesellschaft zu einer Akademie machen.1 Es müßte klare Zielvorstellungen der SfD geben. Weniger im name-dropping als im Inhaltlichen.
Schmatz: Man muß sich nicht auf große Namen stützen.
Neumann: Die Initiative geht von der SfD aus. Danach wird ein Kuratorium eingesetzt, ein kleiner Kreis, der fest von der Sache überzeugt ist. Sonst ist beides von vornherein zerfasert.
Hintze: Was beides?
Neumann: Personelle Auffettung und Inhalt.
Gruber: Wir diskutieren zwei Wege: die Verkaufsstrategie und den Inhalt. Diese beiden müssen sich nicht gleichen.
Neumann: Entweder wir kümmern uns zuerst um den Inhalt und vergrößern danach das Kuratorium, oder umgekehrt.
Hintze: Es wäre jedenfalls schade, wenn in Wien zwei Konkurrenzprojekte existieren. Hunderte Jahre war nichts. Und jetzt plötzlich an einem Ort zwei. Die besten Kräfte sollten zusammenarbeiten. Ich glaube, daß uns das gelingen könnte.
Schmatz: Das ist Illusion.
Neumann: Jeder hat berechtigte Vorstellungen. Die auf eine Basis zu bringen ist unmöglich.
Hintze: Vielleicht bin ich zu jung, um das beurteilen zu können, aber mir kommt vor, daß sich da gewisse Muster aus den 50-er Jahren wiederholen. Ich möchte nicht, daß sich für Jandl das Trauma "Wiener Gruppe" wiederholt. Hier Artmann und Rühm - und er ist wieder draußen.
Rühm: Ich schätze seine Arbeit sehr und betrachte mich als guten alten Freund, aber ich halte manche Leute, die er schätzt und hofiert für Arschlöcher.
- Daß die GAV zu einer Literaturschwemme geworden ist, geht nicht zuletzt auf Ernst Jandl zurück. Ich war immer dagegen, daß man zu viele Leute aufnimmt und das ist leider die Politik von Ernst Jandl, weil er glaubt, daß man mit mehr Mitgliedern auch mehr durchsetzen kann.
- Er sagt und macht viel Gutes, er setzt sich auch für Leute ein, die unbeliebt sind. Das schätze ich sehr an ihm, aber seine populistische Seite mag ich sehr viel weniger.
Gruber: Die Wiener Gruppe hat nach außen hin einen Körper dargestellt, den man nicht nachahmen kann und an den man auch nicht herankommt.
Rühm: Wir waren sehr isoliert.
Hintze: Ich hatte ja lange Zeit die Vorstellung, man könnte in der GAV etwas machen. Aber nur, wenn man einen radikalen Neubeginn wagt. Nachdem 1989 mein Selbstauflösungantrag niedergestimmt worden war, war für mich klar: es geht tatsächlich nur in einer kleinen Gruppe. Bei der Entwicklung einer Literaturakademie aber kommt ein gewisses technisch-politisches Moment hinzu. Das Projekt SfD konnte nur deshalb so erfolgreich beginnen, weil wir, bevor wir an die Öffentlichkeit gegangen sind, monatelang politische Kleinarbeit geleistet haben: Gespräche, Briefe, Verhandlungen mit den Repräsentanten aller literarisch und literarisch-organisatorisch relevanten Strömungen. Darum werden wir auch in Zukunft nicht herumkommen.

(Alle Anwesenden sprechen sich dafür aus, bei Jandl und Mayröcker vorzufühlen und sie zu einer Kuratoriumssitzung einzuladen.)

Oratro: Die Impulse kommen vom Kuratorium. Die Knochenarbeit macht das Team der SfD.
Hintze: Da wir hier Arbeit leisten, schlage ich vor, daß den Kuratoriumsmitgliedern in Zukunft Sitzungsgeld und Reisekosten bezahlt werden.
Rosei: Nicht zu hoch, bitte. (lacht)
Schmatz: Ich brauche für die Sitzung kein Geld. Es sollten eher die Honorare bei den Akademien höher sein. Wenn es zu richtigen Arbeitssitzungen kommt, könnte man Geld verlangen.
Rosei: Wenn der Arbeitsaufwand steigt und ich einen Lehrplan erarbeiten sollte, dann vielleicht.
Schmatz: Der kleine Kreis ist produktiver. In der weiteren Entwicklung sollten aber schon Gäste hinzu kommen.
Gruber: Das Arbeitsklima muß gut sein, man darf nicht erst überlegen, kann ich das jetzt in diesem Kreis sagen, oder nicht.
Neumann (zu Hintze): Ich verstehe dein Anliegen mit dem Ernst. Du solltest dich mal mit ihm zusammensetzen.
Gruber: Der Ernst Jandl will die Fried-Gesellschaft zu einer Akademie machen.2 Das heißt also, wir müssen geschwind sein.
Neumann: Nein, das nicht. Wir müssen konsequent sein.

________________________________________________

Um ca. 17 Uhr: Gruppenfoto; danach verlassen Ferdinand Schmatz und Kurt Neumann die Runde.
________________________________________________

Rühm: Bevor wir alle auseinandergehen: Machen wir doch Nägel mit Köpfen:
- Bleiben wir weiterhin an einem provisorischen Platz, oder gibt es einen festen Ort?
Hintze: Der 95/96er Termin bietet eine reelle Chance für ein eigenes Haus.
- im Gespräch: Übersiedlung in den Messepalast, ins Museumsquartier. Scholten ist dafür, Busek wehrt sich noch.
- das Areal rund um den Kursalon wäre natürlich ideal: im Grünen gelegen, an einem Fluß, dennoch mitten in der Stadt; das Ganze ist im Eigentum der Gemeinde, Hübner ist Pächter; man müßte herausfinden, wie die Vertragssituation ist.
Oratro: Unger ist bereit, der Minister ist bereit; wir müssen nur konkrete Vorschläge bringen.
Rühm: Das Haus sollte auf alle Fälle im Zentrum gelegen sein oder am Ring.
Rosei: Eine erlebbare Raumabfolge wäre günstig. Der Hübner ist zu groß.
Rühm: Der Messepalast wäre sehr gut. Da sind die Museen, die Bildende Kunst. Für interdisziplinäres Arbeiten wäre das von Vorteil.
Rosei: Was ist mit dem alten AKH?
Prasser: Dort sollen Institute der Hauptuni hineinkommen.
Rosei: Man könnte es dort versuchen.
Rühm: Man muß Schlafräume für Leute aus dem Ausland vorsehen.
Hintze: So wie in unserem ersten Konzept, wo wir von einem WELCOME CENTER FOR TRAVELING POETS.gesprochen haben?
Rühm: Man muß Räume für die Gatsprofessoren haben.
Hintze: Wenn es zu konkreten Verhandlungen kommt: Könntest du dich da beteiligen? Zum Minister mitgehen? Zur Stadträtin mitgehen?
Rühm: Wenn Ich da bin, natürlich.
Hintze: Wie schaut die Unterrichtsorganisation aus?
Rühm: Darüber soll jeder Lehrer selber entscheiden.
Hintze: Geben wir den Studenten Scheine?
Rosei: Ja natürlich, Besuchsbescheinigungen. Aber keine Zeugnisse. Ich bin gegen Zeugnisse.
Hintze: Ginka Steinwachs ist für Teilnahmebescheinigungen. Und sie hat letzthin bei der April-Akademie schon welche ausgegeben.
Rühm: Wie in Salzburg bei der Sommerakademie. Man bestätigt die Teilnahme und schreibt ein paar Zeilen über den Studenten.
Oratro: Das ist für den Studenten auch eine Referenz.
Rühm: Dieser Schein müßte einheitlich sein und vorgedruckt.
Rosei: Grundsätzlich haben wir heute zwei Dinge entschieden:
1. Die Entwicklung der SfD zu einer Akademie.
2. Die Personenbezogenheit
Die anderen Punkte, z.B. die Besprechung des Lehrplans, verschieben wir auf die nächste Sitzung.
Hintze: Wie sinnvoll ist es, Lehrstühle einzuführen? Einen Lehrstuhl für Prosa, einen für Lyrik, einen für Performance, einen für Drama?
Rühm: Davon halte ich nichts.
Rosei: Ich auch nicht, da sind wir uns einig.
Hintze: Die Literatur war ja lange Zeit Stimulans für die Entwicklung von Nationalsprachen, von nationaler Identität. Man könnte daher auch sagen, eine Literatur-Akademie sollte, wie in Leipzig zum Beispiel eine Akademie ausschließlich der deutschen Sprache sein. Vor dem aktuellen politischen Hintergrund, gerade Europas, aber denke ich, daß wir so, wie wir begonnen haben, auch weiterarbeiten sollten: mehrsprachig, mehrere Kulturen berücksichtigend.
Rühm: Ja, da bin ich dafür.
Hintze: Und daß wir eine Inger Christensen, einen Jack Collom, einen Allen Ginsberg, eine Anne Waldman in eines unserer Gremien holen?
Rühm: Das ist schwierig, wird nicht praktikabel sein.

Rühm: Nun zur Rechtschreibung. Ich würde nicht mitmachen, wenn bei euren Publikationen weiterhin dieses grauenhafte großgeschriebene I vorkommt. "StudentInnen, LehrerInnen". Das ist eine Verhunzung der deutschen Sprache und überdies wie es gemeint ist nicht sprechbar. Ich bin ja sowieso ein Vertreter der konsequenten Kleinschreibung. Ich bin für Studenten/Studentinnen. Deutsch ist die einzige Sprache der Welt mit Großbuchstaben bei Hauptwörtern.
Oratro: Wir können die Kleinschreibung ja fürs Programmheft übernehmen.
Hintze: (zu Rühm) Schreibst Du uns ein Pamphlet dafür?
Rühm: Ich bin überzeugt, daß irgendwann die Kleinschreibung kommt. Trotzdem muß man wissen, was traditionell großgeschrieben würde. Die Großbuchstaben sind Fremdkörper und erst seit etwa dem 18. Jahrhundert geregelt in Gebrauch.
________________________________________________

Ende der Sitzung: ca. 18 Uhr.
Nächste Sitzung: nach der Frankfurter Buchmesse, um den 11. Oktober.



 

nach oben
 
materialienbände

die beiden materialienbände eine universität gründen? und eine akademie für sprachkunst können gegen einen unkostenbeitrag von jeweils €10 (inkl. versandkosten) über folgende adresse bestellt werden:

schule für dichtung
mariahilfer straße 88a/III/7
a-1070 wien
sfd@sfd.at
www.sfd.at

1. eine universität gründen?

notizen, konzepte, protokolle.
universitäre bestrebungen der schule für dichtung in wien 1992-2005
herausgeber: christian ide hintze
mitarbeit: katharina manojlovic, antonia vasiloiu
edition schule für dichtung
materialien, wien 2005
ca. 130 seiten

INHALTSVERZEICHNIS

1. VORWORT: HISTORIE 3

2. KURATORIUM 7
2.1 ERSTE KURATORIUMSSITZUNG IM CAFÉ PRÜCKEL AM 2. JUNI 1993 8

3. STUDIENZIEL: DICHTER 25
3.1 VORTRAGENDE 26
3.2 VORWORT 27
3.3 ERÖFFUNGSREDE DR. EUGEN GERRITZ 28
3.4 VORTRAG CHRISTIAN IDE HINTZE 32

4. SCHLOSS NEUGEBÄUDE 40
4.1 BETEILIGTE 41
4.2 CHRISTIAN IDE HINTZE: IDEEN ZUR NUTZUNG DES NEUGEBÄUDES 43
4.3 GRUNDRISS NEUGEBÄUDE / RAUMBEDARF 44
4.4 CARL PRUSCHA: REVITALISIERUNG DES NEUGEBÄUDES 46
4.5 BEGEHUNG AM 12. NOVEMBER 1998 49

5. PALAIS RASUMOFSKY 52
5.1 AKADEMIE FÜR SPRACHKUNST – KONZEPT FÜR EINE NUTZUNG DES PALAIS RASUMOFSKY 53
5.2 BEGEHUNGEN 57

6. INTERNETAKADEMIE 61
6.1 IDEENPAPIER 61
6.2 SYMPOSION “VIRTUELLES LEHREN UND LERNEN” 67
6.3 VIRTUELLE AKADEMIE 2001 71
6.4 TROIA VOLLANTRAG 77

7. EXPERTENKOMMISSION “LEHRSTUHL: TEXT” 84
7.1 KONZEPT 87

8. BERATENDES GREMIUM “AKADEMIE FÜR SPRACHKUNST” 97
8.1 PROTOKOLL DER SITZUNG AM 19. FEB. 2003 98

9. INTERNATIONALER KONGRESS FÜR LITERARISCHES SCHREIBEN, LEIPZIG 103
9.1 PROGRAMM 104
9.2 VORTRAGENDE/ORGANISATOREN/AUTOREN 106
9.2.1 VORTRAG GERT JONKE 108
9.2.2 VORTAG ORHAN KIPCAK 111

10. PRESSEGESPRÄCH AM 8. JUNI 2005 121
10.1 PRESSEGESPRÄCH: VORGESTELLTES PROCEDERE 122

2. eine akademie für sprachkunst

texte, entwürfe, statements von
robert schindel, gert jonke, marianne gruber, renée gadsden, sabine scholl, josef haslinger, peter rosei, christian ide hintze, orhan kipcak, gerhard rühm, h.c. artmann, rudolf scholten

herausgeber: christian ide hintze
mitarbeit: katharina manojlovic, antonia vasiloiu
edition schule für dichtung
materialien, wien 2005
ca. 80 seiten


inhalt

vorwort 3

robert schindel: statement 4

gert jonke: statement 5

marianne gruber: statement 6

renée gadsden:
a university of language arts in austria 7

sabine scholl:
für eine akademie der sprachkunst – vorüberlegungen 10

josef haslinger:
projekt: österreichisches institut für kreatives schreiben 12

peter rosei:
warum eine akademie für dichtkunst? 23

christian ide hintze:
subversion – institution. die 2köpfigkeit der schule für dichtung in wien 36

orhan kipcak:
statement, virtuelle akademie 44

gerhard rühm:
über die lehrbarkeit von literatur 51

h.c. artmann:
gänse und kraniche 55

dr. rudolf scholten:
rede anlässlich der eröffnung der april-akademie 93 63

publikationshinweise / daten zur entstehungsgeschichte 69

kurzbiographien 70




 

nach oben
 
literaturhinweise

christian ide hintze, dagmar travner (hg.): über die lehr- und lernbarkeit von literatur. wien: passagen-verlag, 1993

ministerium für schule und weiterbildung, wissenschaft und forschung landes nordrhein-westfalen (hg.): studienziel: dichter. ist literarisches schreiben lehrbar? in kooperation mit dem literaturrat nrw,1998

orhan kipcak (hg.): 5 internet-klassen. www.sfd.at. wien: passagen-verlag, 2000

barbara ruhsmann: schule für dichtung in wien. 1991-1998. ein porträt. diplomarbeit, univ. wien, 2000

josef haslinger, hans-ulrich treichel (hg.): wie werde ich ein verdammt guter schriftsteller berichte aus der werkstatt. frankfurt/main: suhrkamp, 2005



 

nach oben