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european kalevala

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kalevala von:
Richard Faderny


Und wenn ich könnt, singen

Ich wollt Euch schon lange
vom Anfang erzähln
wenn ich könnt, singen,
meine Gedanken befrein,
euch mit Weisen betören.
Wie ich einst selbst sie erfuhr
entfliehn mir Geschichten,
brechen aus mir die Worte
mit gewaltiger Zunge hervor
die schaudernd erschallen











kommentar von gisbert jänicke


Wie schon im ersten Beitrag berichtet uns der Autor auch
jetzt eigentlich nichts über die Entstehung Europas, wie
die Übungsaufgabe es gewünscht hatte. Statt dessen
begnügt er sich damit, die Einleitungsverse des Kalewala
zu variieren, in denen der Sänger den Wunsch äußert, „ans
Singen mich zu machen, sprechend Verse herzusagen“,
mit anderen Worten sich auf die Geschichte vorbereitet,
die er erzählen will.

Im Gegensatz zum ersten Beitrag ist die vorgelegte Probe
auch in versifikatorischer Hinsicht unzulänglich, ein
konsequent befolgtes metrisches Schema lässt sich nicht
feststellen. Das in den beiden ersten Zeilen begonnene
Schema von einem Jambus (v —) und einem Anapäst (v v
—) gerät von der dritten Zeile an völlig durcheinander.
Lassen sich im metrischen Vers Jamben und Anapästen
(ebenso wie Trochäen und Daktylen) vorteilhaft mischen,
wobei allerdings dem Rhythmus zuliebe ein einheitlicher
Wechsel der Versfüße angestrebt werden sollte, verstößt
die Mischung von Anapäst und Trochäus, wie sie die dritte
Zeile aufweist, gegen alle Regeln. Auch die uneinheitliche
Silbenzahl der Verse von mal sechs, mal sieben, in der
dritten Zeile nur fünf und in der neunten Zeile gar neun
Silben wirkt verwirrend. Wenn es nicht gelingt, das
Gedicht in ein einheitliches metrisches System zu bringen,
könnte man es mit freien Versen versuchen, wie ich es in
meiner Kalewala-Übersetzung erprobt habe. Der freie
Vers stellt aber in versifikatorischer Hinsicht ebenfalls
hohe Ansprüche, besonders an Rhythmus und
Wortharmonie.