07. okt 2002
wörter zahlen werte
Das
letzte Spiel von Christian Loidls spielerischem Geist war das mit Wörtern
und Zahlen. Der Lyriker und Performance-Künstler verstarb am 16.
Dezember 2001 durch einen Unfall. In den Wochen davor hatte er sich intensiv
damit beschäftigt, jene geheimen Beziehungen zwischen den Wörtern
aufzudecken, die sich erschließen, wenn man Buchstaben einen Zahlenwert
zuordnet. So bekommt A den Wert 1, B den Wert 2, ... Z den Wert 26; jedem
Wort entspricht eine Zahl, die Summe seiner Buchstaben. (Der Name Ada
ergibt z.B. den Wert 6 = 1 (A) + 4 (D) + 1 (A).) In einem eigenen kleinen
Notizbuch hat Christian Loidl Wörter mit ihren Zahlenwerten gesammelt,
bald auch Zahlenwerte mit den dazugehörigen Wörtern. Denn wenn
zwei Wörter denselben Zahlenwert haben, ist das Ausdruck einer geheimen,
einer poetischen Beziehung zwischen ihnen. Wenn man nur genügend
Wörter berechnet, erhält man ganze Sammlungen von Begriffen,
die „zufällig“ denselben Wert haben. Mit diesen Sammlungen
kann man spielen, Zeilen und andere Muster daraus bilden.
Wir wollen dieses Spiel weiterspielen. Das Berechnen
übernimmt für uns der Computer. In das Programm haben wir als
Grundstock die Wortsammlungen aus Christians Notizbuch eingegeben, außerdem
das Wortmaterial aus Gedichten von ihm. Die MitspielerInnen können
und sollen weitere Wörter hinzufügen. Gemeinsam wollen wir das
poetische Potential der so entstehenden Sammlungen explorieren.
1993 unterrichtete Christian Loidl eine Klasse an der
Schule für Dichtung, unter dem Motto: „Salamiherstellung aus
heiligen Kühen“, ausgehend von der Frage: „Wie können
wir Texte anderer dazu verwenden, unsere eigenen Texte zu schreiben?“
In diesem Sinn soll ein Gedicht und ausgesuchte Wörter aus dem persönlichen
Vorrat von Christian Loidl sowie eigen(e)s Assoziiertes – mittels
„gelockerter Ganglien“ – in neue Zusammenhänge
gebracht werden.
Ein Beispiel aus Christian Loidls Notizbuch: „69:
Teufel, Unding, Oberon, Fraktal, Strafe, Schlange, Blitz, Formel, Partei,
Poesie, Stimme, Palast, Frosch, Wirbel, Nektar, Wanze.“
Lektüre:
die Lyrikbände weiße rede (1990; edition
umbruch), falsche prophezeiungen (1994), farnblüte (1996), pupille
(1998), alle: edition selene, Wien.
Vgl. auch Reder: Das Alphabet als Code, Wien 2000.
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